Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
dieses Bild bei sich.
Eliot riss eine Ratte von seinem Rucksack ab. Er rammte die Hand in den Rucksack und zog das schwere, ledergebundene Buch hervor, das sie im Keller gefunden hatten. Rasch ließ er es auf der Seite auffallen, die zuletzt aufgeschlagen worden war.
Eine Ratte zerrte an Eliots Hemd; ihre Krallen schrammten ihm über den Rücken.
Eliot widerstand dem Impuls herumzuwirbeln und das Tier abzureißen. Er konnte nicht. Er musste sich auf die Handschrift konzentrieren, die er am Seitenrand gesehen hatte.
Als er seine Taschenlampe ins Gleichgewicht gebracht hatte, sah er den Holzschnitt eines hübschen Schufts, der Blockflöte spielte – umgeben von tausend Nagetieren, die gehorsam aufwartend auf den Hinterbeinen hockten.
Und mit einem Bleistift standen daneben geschrieben: Musiknoten.
Eliot hatte noch nie Musik gelesen, aber die Punkte auf den höheren Linien und in ihren Zwischenräumen mussten höheren Tönen entsprechen. Es wirkte so leicht, als sei die Fähigkeit in seinem genetischen Code festgeschrieben.
Er ließ das Buch fallen und packte seine Geige.
Ein Dutzend Ratten zerfetzte die Säume seiner Hose.
Versuchsweise zupfte er die Musik.
Die Luft wurde still.
Alle Ratten hörten gleichzeitig auf zu fiepen. Die Krallen auf dem Beton kamen zur Ruhe. Winzige, pelzige Ohren wandten sich nach vorn.
Eliot wagte es nicht, sich zu rühren, als könne das den Zauber brechen.
Hinter ihm beugte sich Fiona näher heran und flüsterte keuchend: »Mach weiter damit.«
Er nickte und zupfte die Melodie noch einmal.
Die Ratten kletterten von seinem Körper herunter und setzten sich auf die Hinterbeine.
Er kniete sich langsam hin und holte den Geigenbogen aus dem Rucksack. Dann begann er, ihn über die Saiten zu führen. Er rutschte ab und kratzte, ließ die falschen Noten quietschen.
Die Ratten zischten, knabberten aneinander und rutschten unruhig hin und her.
Eliot schloss die Augen und zwang sich, das Instrument weniger fest zu halten und den Bogen fließend über die Saiten gleiten zu lassen.
Er spielte.
Das Lied aus dem Buch war eine einfache Melodie wie Louis’ Kinderlied, aber während Louis’ Musik Eliot an Kinder denken ließ, die im Kreis tanzten, war dieses Lied zum Marschieren gedacht – es bewegte sich vorwärts, immer weiter.
Er öffnete die Augen und sah, dass jede einzelne Ratte ihn verzückt anstarrte.
Fiona tippte ihm auf die Schulter. »Lass uns von hier verschwinden, solange wir können. Kannst du gleichzeitig gehen und spielen?«
Er war sich nicht sicher. Bis gestern hatte Eliot noch nicht
einmal gewusst, dass er überhaupt spielen konnte. Dennoch nickte er und machte ein paar Schritte den Absatz entlang; er achtete darauf, die beschwichtigten Nager nicht zu zertreten.
Sie ließen Fiona und ihn vorbei, drehten sich dann aber alle gemeinsam um und folgten ihnen.
Es war genau wie auf dem Bild. Er konnte die Ratten führen, wohin er wollte, und sie für einen Augenblick davon abhalten, sie zu fressen; aber das genügte nicht.
Eliot blieb stehen. »Das bringt uns nicht weiter auf der Suche nach dem Alligator. Wir müssen hierbleiben.«
»Spinnst du?«, sagte Fiona. »Wenn wir bleiben, sind wir Rattenfutter.«
»Und wenn wir den Alligator nicht finden? Die Prüfung nicht bestehen?«
Er unterbrach das Lied. Sofort wurden die Ratten unruhig, also begann er wieder von vorn.
»Da nehme ich es lieber mit Tante Lucia und dem Rat auf«, sagte Fiona und sah die Ratten an, die wieder zur Ruhe kamen. Sie schauderte.
Eliot mühte sich ab, um seinen Arm und seine Finger in Bewegung zu halten. Sein Körper zitterte, und er wollte sich hinsetzen, um zu lachen oder zu weinen – er war sich nicht sicher, was von beidem.
Aber er war sich sicher, was geschehen würde, wenn sie die Prüfung nicht bestanden. Das spürte er in den Knochen. Er wusste, dass seine neu gefundene Familie gefährlicher war als eine Million beulenpestverseuchter Ratten.
»Onkel Henry und Tante Lucia werden nicht einfach Gnade vor Recht ergehen lassen. Flieh, wenn du musst. Ich bleibe.« Die Entschlossenheit in seiner Stimme überraschte ihn, aber er meinte es ernst. Er würde das hier zu Ende bringen, so oder so.
»Das kannst du nicht allein schaffen, Dummkopf.« Fiona stieß ihren patentierten Warum-muss-ich-bloß-immer-meinen-Bruder-ertragen-Seufzer aus. »Hast du eigentlich auch einen richtigen Plan – ich meine, außer den Ratten den ganzen Tag lang etwas vorzuspielen?«
»Fang mit dem Buch an. Was
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