Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
schneiden?«
»Nur, wenn du es geschehen lässt«, sagte er.
Fiona spannte sich an und drückte die Schnur an das Rohr, erst nur leicht, dann fester.
Ganz, wie sie angenommen hatte – nichts geschah. Das Stück Baumwollfaser würde mit der gleichen Wahrscheinlichkeit massives Eisen durchschneiden, wie ein Stück Butter eine Ziegelwand durchdringen konnte.
»Erinnere dich an das, was du empfunden hast, als wir gekämpft haben«, sagte Aaron.
Empfunden? Fiona hatte nichts empfunden. Sie war es nur leid gewesen, herumgestoßen zu werden. Von Großmutter. Vom Rat. Und hatte sie nicht den guten, alten Onkel Aaron verletzen wollen? Nur einen Sekundenbruchteil lang? Hatte sie ihm nicht mit dem Jo-Jo den Schädel einschlagen wollen?
Die Schnur glänzte.
Sie straffte sich plötzlich jenseits des Regenrohrs.
Die Bewegung war unvermittelt und unmöglich, wie der Taschenspielertrick eines Bühnenzauberers.
Aaron zog Fiona sanft beiseite.
Das Rohr knarrte; das Oberteil glitt ab und fiel klappernd auf den Asphalt.
Fiona starrte den Schnitt wie vom Donner gerührt an. Sie griff danach, um die Kante abzutasten, hielt dann aber inne, weil sie wusste, dass sie schärfer als jede Rasierklinge war.
»Du hast gesagt, dass meine Mutter das auch konnte? Nur mit einer Schnur?«
»Sie konnte durch alles schneiden, wenn sie es sich nur in den Kopf gesetzt hatte«, erklärte er. »Also bist du wirklich ihre Tochter. Und meine Nichte.«
Sie sah ihn an. Er war noch immer derselbe Berg von einem Mann, immer noch härter und furchteinflößender als irgendjemand sonst, den sie je getroffen hatte, aber sein Blick war weicher geworden, als ob ihn jetzt irgendetwas an ihr nicht mehr vollkommen abstieß.
Schatten huschten durch das Gässchen, und Fiona schaute auf. An die hundert Krähen kreisten in der Luft. Einige hielten im Sturzflug auf das Pink Rabbit zu und prallten an den Oberlichtern und Wänden ab.
»Hör nur«, flüsterte Aaron. »Dein Bruder testet sein Arsenal ebenfalls.«
Fiona wollte ihn gerade fragen, was er damit meinte, als Johnny die Hintertür aufstieß.
»Fiona«, rief Johnny, »Telefon! Irgendein Junge!«
Sie drehte sich um und rief: »In Ordnung, ich komme gleich!«
Dann wandte sie sich wieder ihrem Onkel zu. Sie hatte noch mehr Fragen an ihn.
Aber das Waffenbündel und Onkel Aaron waren verschwunden.
37
Lancelot-Komplex
Robert Farmington ließ seine Harley neben drei staubigen Cadillacs mit Baja-Nummernschildern ausrollen. Er streifte die Lederjacke ab; darunter trug er ein durchgeschwitztes T-Shirt.
Es war komisch, dass so viele Einheimische sich in der Kneipe aufhielten. Es war ein drückend heißer Nachmittag – der beste Moment für eine Siesta in diesem verschlafenen mexikanischen Küstenort.
Robert warf einen Blick über die Klippe auf das Dorf Puedevas, das vom Ozean umschlossen dalag. Ein paar gewitzte Angler kannten diesen Ort … und viel zu viele Schmuggler.
Robert machte einen Ausflug hinunter nach Puedevas, wann immer er konnte. Die Señoritas lächelten ihm immer zu, die Hummer-Enchiladas waren himmlisch, und vor allem servierte man ihm in der Kneipe Cervezas.
Er spazierte auf den Eingang zu, blieb dann aber stehen. Das CERRADO-Schild stand im Fenster … geschlossen? Aber die Tür war offen. Es musste ein Fehler sein. Die Kneipe hatte
an den Nachmittagen durchgehend geöffnet, damit die reichen amerikanischen Angler ihren Durst stillen konnten.
Robert ging hinein. Drinnen waren die Lehmwände türkisfarben gestrichen, und Ventilatoren unter der Decke wirbelten relativ wirkungslos die heiße Luft herum.
Acht einheimische Männer saßen an der Bar; sie rochen nach drei Tage altem Schweiß und einem Hauch Kordit, als hätten sie vor kurzem geschossen. Sie trugen billige Lederjacken, sogar bei dieser Hitze, und Robert bemerkte, wie sie sich ganz offensichtlich über Pistolen wölbten.
Schläger der mittleren Managementebene zwischen den Drogenbossen und ihren Dealern, die an der Grenze zwischen den USA und Mexiko aktiv waren. »Banditos«.
Normalerweise war es leicht, einzeln mit ihnen fertig zu werden – aber nicht in der Gruppe. Sie waren wie ein Rudel Hyänen, und sogar Löwen wichen vor zu vielen Hyänen zurück.
Er wollte gerade rückwärts wieder hinausgehen, als er Theresa entdeckte, die Tochter des Kneipenbesitzers. Sie war ein süßes Mädchen, vielleicht elf Jahre alt, und stand in der Ecke wie ein Tier in der Falle.
Sie schüttelte den Kopf in seine Richtung.
Die
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