Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
Botschaft war unmissverständlich: Geh, solange du noch kannst.
Doch ihre dunklen Augen waren vor Panik weit aufgerissen, und in ihnen stand eine andere, genauso klare Botschaft: Rette mich .
Robert lächelte. Marcus Welmann hatte ihm immer gesagt, dass er etwas für »Jungfrauen in Not« übrig hätte. Er hatte Robert auch prophezeit, dass ihn das eines Tages noch umbringen würde.
Marcus hatte aber nie verstanden, warum Robert diesen Job überhaupt übernommen hatte. Jungfrauen in Not, Gefahr, Abenteuer, nie erwachsen werden müssen – wen kümmerte es schon, wie lange das eigene Leben dauerte, wenn er das alles hatte?
Außerdem: Wer von ihnen beiden lebte jetzt denn noch, und wer war mittlerweile tot?
Er nickte Theresa zu und spazierte dann zu seiner Lieblingsnische in der Rückwand. Er würde die Banditos von dort aus beobachten können.
Auch sie konnten ihn sehen, also würden sie sich entspannt fühlen; als hätten sie ihn genau da, wo sie ihn haben wollten.
Vielleicht hatten sie das ja auch.
Die Banditos musterten ihn, murmelten irgendetwas und lachten. Ein paar von ihnen holten sich noch mehr Bier von hinter der Theke. Kein Barkeeper in Sicht. Das war kein gutes Zeichen.
Einer der Männer ging zur Vordertür und legte den Sicherheitsriegel vor. Er grinste Robert an und stolperte zu seinem Barhocker zurück.
Ja, sie würden sich ordentlich besaufen, und dann konnte der Spaß losgehen. Sie würden sich erst ihn vornehmen und dann, so vermutete er, Theresa.
Robert hielt mit einer Hand eine fettige Speisekarte hoch, während seine andere Hand zu dem Holster in seinem Kreuz glitt. Er zog seine Glock 29 und legte die winzige Pistole auf die Bank neben sich.
Theresa kam an den Tisch. »Ihre Bestellung, Señor?«, sagte sie so laut, dass die Banditos es hören konnten.
»Hummer-Enchiladas und schwarze Bohnen.«
»Gehen Sie«, flüsterte sie. »Schnell – wenn Sie können.«
Robert lächelte noch breiter. »Und zwei Coronas, por favor .«
Sie seufzte und ging in die Küche.
Acht gegen einen. Robert würde bald tot sein, wenn er sich nichts einfallen ließ. Doch für den Augenblick begnügte er sich damit, sie trinken zu lassen, so dass ihre Reaktionsfähigkeit nachließ. So, wie die Kerle ihren Tequila und ihr Bier herunterkippten, nahm er an, dass er zehn Minuten hatte, bis sie berauscht genug waren, um zu tun, worauf auch immer sie hinarbeiteten.
Er hatte, wie es so schön hieß, »Zeit totzuschlagen«.
Robert schnappte sich einen Salzstreuer und besprenkelte den Tisch. Er zeichnete eine Weltkarte und verwischte in etwa den Mittelpunkt von Nordamerika.
Den größten Teil seines Lebens hatte er in Arkansas in der Nähe der Country Road 32 verbracht. Er hatte mit seiner Familie auf den Feldern gearbeitet und an den Nachmittagen ein bisschen Schulbildung mitbekommen. Eines Tages, nachdem Stiefvater Nr. 3 ihm für seine »Aufsässigkeit« eine Lektion erteilt hatte, die ihm eine blutige Lippe eingebracht hatte, hatte er beschlossen, dass es reichte.
Er hatte seiner Mutter einen Abschiedskuss gegeben, während sie schlief, und war zu der Kreuzung gegangen, wo der Highway 20 in den Highway 43 überging. Robert hatte gehört, dass der Teufel um Mitternacht kommen würde, wenn man an einem solchen Ort wartete, und dass man ihm seine Seele verkaufen konnte.
Mitternacht war gekommen. Der Teufel war nicht aufgetaucht, dafür aber der Greyhoundbus, und das war auch in Ordnung gewesen.
Robert zeichnete einen Bogen durch seine Salzkarte bis zum Atlantik.
Er war groß für sein Alter, und ein tüchtiger Lügner war er auch gewesen. Dennoch hatte der Schiffseigner aus Virginia sicher gewusst, dass er erst vierzehn war. Er hatte ihn aber für die Überfahrt arbeiten lassen. Robert hatte auf der Reise ein bisschen Spanisch aufgeschnappt und war dann in Barcelona von Bord gegangen.
Er zog eine große Linie über den Ozean und eine Reihe von Zickzacklinien durch Europa.
Das Jahr war verrückt gewesen. Robert war beinahe gestorben, während er seinen neuen Beruf gelernt hatte: Kunstdieb.
Seine Laufbahn hatte aber in der Türkei ein Ende gefunden, als er Marcus Welmann über den Weg gelaufen war.
Robert seufzte und pustete das meiste Salz weg.
Was brachte schon dieses Schwelgen in Erinnerungen? Marcus war tot. Klar, er hatte Robert schikaniert, aber er hatte sich auch um ihn gekümmert und ihm das Motorradfahren, Kämpfen und Nachdenken beigebracht … Was mehr war, als auch nur einer der Lebensgefährten
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