Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
habe den ersten Schritt getan. Wir müssen alle unterzeichnen, sonst wird es Uneinigkeit innerhalb der Liga geben.«
»Nein«, flehte Dallas. »Bitte, Schwester, tu es nicht.«
»Ich habe dich gewarnt«, sagte Lucia und richtete einen Blick, der hätte töten können, auf Dallas. »Da du die Anstandsregeln verletzt …«
Henry mischte sich ein. »Lass es gut sein, Lucia. Die Kinder tun uns allen leid.«
Er drehte sich um und nahm die Pergamente in Augenschein. Ihm schossen die Tränen in die Augen. Er bewegte den Mund, versuchte etwas zu sagen, brachte jedoch kein Wort heraus.
Schließlich nahm er den Füller und unterschrieb beide Dokumente.
Henry kehrte zu seinem Stuhl zurück, stützte das Gesicht in die Hände und weinte leise.
Cornelius unterschrieb wortlos als Nächster.
Gilbert hielt nur kurz inne, um einen Blick auf Aaron zu werfen, unterzeichnete dann aber auch.
Kino setzte seine Unterschrift darunter. Er reichte die Blätter und den Füller an Aaron weiter.
Aaron las jedes Wort und blinzelte heftig, damit ihm nichts vor den Augen verschwamm. Er ließ die Seiten sinken.
»Audrey, wenn du das wirklich willst, dann werde ich es tun. Ich weiß, dass die Strategie durchdacht ist, aber in meinem Herzen … auch ich habe immer versucht, das zu schützen, was ich liebe. Aber das hier … ich kann es nicht verstehen.«
»Tu es«, sagte Audrey sanft zu Aaron.
Den Füller fest umklammert, gab Aaron endlich nach und unterschrieb.
Er sackte in sich zusammen und ließ die Seiten in Audreys Schoß fallen. Dann wankte er zu Dallas und schlang den Arm um sie.
Alle Blicke richteten sich auf Audrey.
Zitternd nahm sie den Füller zur Hand.
Jetzt stand alles auf der Kippe. Vernichtung durch ihre Feinde. Ein Bürgerkrieg, der die Liga entzweien konnte.
Es war ihre Schuld, dass das geschehen war, und ihre Pflicht, alles wieder zu richten. Sie hatte Eliot und Fiona zur Welt gebracht.
Wie seltsam. Noch vor einer Woche hatte sie geschworen, jeden zu töten, der ihre Kinder bedrohte. Sie hatte die Bande
ihrer Liebe durchtrennt, ja, aber mütterliche Pflicht und Wachsamkeit blieben noch übrig, einer der ältesten familiären Instinkte.
Was hatte ihre Wahrnehmung so radikal verändert?
Eliot und Fiona hatten es getan. Als sie gesehen hatte, wie sie bei ihrem Vater standen – dem absolut verachtenswerten, feigen Louis Fänger, dem Meister der Täuschung -, hatte sie endlich begriffen, dass sie auch seine Kinder waren, zum Teil diabolisch und, wenn sie sich nicht täuschte, rechtmäßige Erben der höllischen Herrschaftsbereiche des Fürsten der Finsternis.
Oder konnten sie noch mehr sein als bloß Gott oder Engel? Konnten sie etwas anderes sein, die Herolde eines neuen Zeitalters? Eines Zeitalters der Aufklärung … oder einer Zeit, die das Ende aller Tage ankündigte?
Die Liga musste auf beide Möglichkeiten vorbereitet sein.
Warum brachte sie es also nicht über sich zu unterschreiben?
Wie sehr sie sich wünschte, die beiden wären einfach Eliot und Fiona Post gewesen, hätten noch in der Wohnung gelebt, wo sie sie unterrichten und in ihrer Nähe sein konnte, um sie zu beschützen und wie gewöhnliche Kinder aufwachsen zu sehen.
Doch es war ein nutzloser Traum; das war es immer gewesen.
Wenn es für sie eine Möglichkeit – irgendeine Möglichkeit – gab zu überleben, würde Audrey alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihnen diese Chance zu verschaffen. Doch sie wusste, dass sie zwischen beiden Familien auf Messers Schneide würden balancieren müssen, um das zu schaffen.
Sie konnte es nicht länger leugnen. Langsam setzte sie die Füllerspitze auf Fionas Vertrag. Ein Tintentropfen lief aufs Pergament.
»Nur, wenn es notwendig wird«, flüsterte sie. »Nur, wenn es unumgänglich notwendig wird.«
Sie machte ihr Zeichen, ein Unendlichkeitssymbol, durch das eine Linie führte.
Dann wandte sie sich dem Dokument mit Eliots Namen zu.
Sie hörte seine Musik, irgendwo, zittrig und flehentlich, aber sie verklang. Es musste ihre Einbildung gewesen sein. Oder vielleicht ihr schlechtes Gewissen.
»Es tut mir so leid.«
Sie unterschrieb auch diesen Vertrag.
Alles, was noch einzutragen war, war das Datum, dann würden die Urkunden rechtlich bindend werden – eine unwiderrufliche Bekanntmachung der Liga der Unsterblichen.
Der Zeitpunkt dafür mochte nie kommen, aber wenn sie diese schreckliche Macht benötigten, dann wären sie vorbereitet.
Zum ersten Mal seit Jahrtausenden ließen Tränen alles vor
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