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Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils

Titel: Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Nylund
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sich die Hand mit gespreizten Fingern vors Gesicht.
    Fiona lauschte gebannt. Sie konnte beinahe die Menschenmenge auf den Straßen und das Schwappen der Boote auf den Kanälen hören.
    »Wie schon gesagt«, fuhr Onkel Henry fort, »ich kannte euren Vater nicht so genau wie eure Mutter, aber ich weiß doch, dass er sehr schneidig aussah. Er war Polospieler und trug immer maßgeschneiderte Kleider. Es hieß, sein Lächeln sei unwiderstehlich gerissen. Und obwohl ich das nur aus zweiter Hand weiß, erzählte man sich auch, dass keine Frau ihm widerstehen konnte, sobald sein Blick auf ihr ruhte.« Onkel Henry schien an irgendeinen fernen Ort zu blicken; dann war er wieder da. »Ein ganz schöner Frauenheld. Und ich kann mir vorstellen, dass genau das manchmal das Problem war.«
    »Wieso soll das ein Problem sein?«, fragte Eliot.
    »Stell dir vor, dass jeder dich sofort von dem Moment an, in dem er dich trifft, mag. Stell dir vor, dass alle sich in dich verlieben, wegen deiner Nasenform oder deines Haarschnitts. Nein, er war ein einsamer Mann, denn keine Frau kannte wirklich sein Herz, seine Sehnsüchte oder seine Träume.« Henry klopfte sich auf die Brust. »Also erschien euer Vater maskiert. Er verbarg sein Gesicht und bedeckte sein Lächeln, um der Aufmerksamkeit zu entgehen – und doch zog ihn die Menge
an, weil er nach Gesellschaft suchte. Da traf er dann eure Mutter.«
    »War sie auch schön?«, fragte Fiona.
    Henry seufzte. »Liebreizender, als ich es mit bloßen Worten ausdrücken kann, Kind. Männer duellierten sich um die Ehre, um ihre Hand anzuhalten. Natürlich lehnte sie alle Anträge ab. Heimliche Verehrer überschütteten sie mit anonymen Geschenken, aber sie bedeuteten ihr nichts. Sie hielt Romantik für etwas Gewöhnliches für gewöhnliche Leute und Liebende für nichts anderes als Narren.«
    Fiona hätte alles darum gegeben, ein Geschenk von einem heimlichen Verehrer zu erhalten. Nur einmal. Wie mochte es sich anfühlen, der Mittelpunkt der Welt eines anderen zu sein?
    »Aber wenn sie kein Interesse daran hatte«, sagte Fiona, »warum ging sie dann auf das Fest?«
    »Sie glaubte nicht an die Liebe, aber sie wollte es«, erklärte Henry. »Sie war eine intelligente, zielstrebige Frau, aber auch sehr einsam. Einmal erzählte sie mir, dass sie auf Partys ging, um zuzusehen, wie Leute sich verliebten, und sich über ihre Unbedachtheit zu wundern – und sie doch um ihr Glück zu beneiden. Ganz gleich, wie flüchtig es sein mochte.« Ein Hauch von Traurigkeit huschte über sein Gesicht, und er beugte sich näher heran. »Es war etwas, von dem sie annahm, dass sie es nie verstehen oder gar selbst erleben würde; aber sie irrte sich.«
    Fiona und Eliot, die auf dem Fußboden saßen, rückten näher an Onkel Henry heran.
    »Sie begegnete eurem Vater auf einem Ball. Er saß da und beobachtete die anderen, so wie sie. Die beiden waren die Einzigen, die keinen Spaß hatten. Und deshalb bemerkte er sie und näherte sich ihr.
    Er hatte diese maskierte Frau jede Aufforderung zum Tanz ablehnen sehen, deshalb sagte er ihr, dass er sich nur mit ihr unterhalten und dabei vielleicht herausfinden wollte, warum so viele Leute sich wie Idioten verhielten.
    Sie stimmte zu, und sie entdeckten, dass sie viel miteinander gemein hatten: ihre Philosophie; beide hatten die Welt bereist
und sprachen viele Sprachen; und beide waren, obwohl sie von vielen geliebt wurden, selbst nie verliebt gewesen. Sie spazierten durch Kopfsteinpflasterstraßen, fuhren mit Gondeln und beobachteten Liebende; sie verspotteten sie nicht länger, wie sie es früher getan hatten, sondern studierten sie und fragten sich, warum das menschliche Herz so leicht zu erobern war … um dann unweigerlich gebrochen zu werden.
    In einem kleinen Café mit Blick auf den Canal Grande machten sie Rast und nippten an Pfefferminzkaffee, während der Mond unterging und die Sterne über ihnen kreisten. In der Nähe standen Zitronenbäume in Kübeln und erfüllten die Luft mit ihrem Duft. Als die Sonne über dem Wasser aufging, nahm euer Vater ihr sanft die Maske ab – und eure Mutter ihm seine.
    Sie starrten einander in die Augen. All die Gespräche über Herzensangelegenheiten, die geteilte Einsamkeit und das Finden eines gleichwertigen Intellekts hörten in dem Moment auf. Das, was man unmöglich mit Absicht hätte erreichen können, war ganz zufällig geschehen: Sie hatten sich verliebt.«
    Fiona wippte auf den Fersen; die Geschichte nahm sie völlig gefangen. »Was

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