Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
gar nicht so aus, als ob es stimmte. Als sie einander gegenüberstanden, war leicht zu erkennen, dass Onkel Henry und Großmutter das gleiche seidige, silberne Haar, die gleiche glatte, olivfarbene Haut, die gleichen schmalen Nasen und weit auseinanderstehenden Augen und die gleiche gebieterische Präsenz hatten.
»Hast du vor, mich zu erstechen?«, fragte Onkel Henry. »Oder sollen wir reden?«
Großmutter sagte nichts.
Eliot hörte seinen eigenen Herzschlag. Sicher machte Onkel Henry Witze.
Aber Großmutter rührte sich nicht. Ihr Gesicht war eine Maske aus Stein; ihre Augen waren zwei rasiermesserscharfe Spiegelscherben.
Eliot hielt den Mund, lauschte und beobachtete.
Neben ihm zitterte Fiona, blieb aber auch still.
»Wirst du mir antun, was du Welmann angetan hast?« Onkel Henry machte eine Bewegung, als schnitte er jemandem die Kehle durch.
Mr. Welmann war tot? Großmutter hatte ihn getötet? Der Gedanke entsetzte Eliot.
»Ich bin aber kein leicht zu ersetzender Fahrer«, fuhr Henry fort. »Tatsächlich …«, ein teuflisches Grinsen huschte über sein Gesicht, »… bin ich praktisch unersetzlich; die ganze Familie liebt mich.«
Großmutter schnaubte verächtlich. »Als Possenreißer .«
»Vielleicht.« Henry vollführte eine schwungvolle Bewegung mit der Hand. »Aber wenn meinem hübschen Narrenkopf etwas zustoßen sollte, wäre die Liga gezwungen zu handeln. Sie würden dich und die Kinder finden.« Seine glatte Stimme wurde eiskalt. »Und dann würde nicht geredet werden.«
Eliot spürte, wie ihm Arme und Beine taub wurden. Er machte einen benommenen Schritt rückwärts, auf Fiona und Cee zu.
»Gut gespielt«, sagte Großmutter ausdruckslos zu Henry. »Natürlich würdest du nicht herkommen, wenn die anderen Spielfiguren dich nicht decken würden.«
Er neigte den Kopf zum Dank für das Kompliment. »Du musst mitkommen. Heute Abend. Sie wollen dich sehen … und sie. Um das zu sagen, bin ich hier.« Onkel Henry hob beide Hände. »Töte nicht den Boten, meine Liebe.«
Das Messer in Großmutters Hand erzitterte, als ihr Griff sich verstärkte.
Eliot hörte die Uhr im Flur nicht länger ticken. Es gab nur noch die Stille und die mit Händen zu greifende Spannung, während Großmutter und Onkel Henry einander anstarrten.
Dann atmete Großmutter aus und nickte.
»Gut«, sagte Onkel Henry.
Großmutter ließ das Messer fallen; es schlug klappernd auf dem Boden auf. Dann trat sie auf Fiona und Eliot zu.
Onkel Henry hob das Messer auf und legte es hoch oben auf ein Bücherregal. »Mein Wagen wartet.«
Großmutter kniete sich vor sie hin und nahm ihre Hände. Ihre Finger waren eiskalt. »Wir machen eine Reise. Gleich jetzt.«
Eliot hatte Großmutter noch nie irgendjemandem gegenüber nachgeben sehen. Von einem Augenblick zum nächsten sah sie deutlich älter aus. Es fühlte sich an, als hielte sie seine und Fionas Hände, um Kraft daraus zu schöpfen – so, als würde sie nie wieder aufstehen.
Er wollte sie trösten, sie festhalten, aber er hatte Angst, dass sie sich ihm entziehen würde. Es war das einzige Mal, dass sie sie je so berührt oder auch nur im Geringsten verwundbar gewirkt hatte.
»Wohin fahren wir?«, fragte er.
Großmutter ignorierte ihn und fragte Cecilia: »Haben sie gepackt?«
»Für eine Wochenendreise«, antwortete Cecilia. »Ich dachte,
wir … Aber was spielt es schon für eine Rolle, was ich gedacht habe? Ich hole mir ein paar Sachen.« Sie richtete sich so gerade auf, wie ihr zerbrechlicher Körperbau es gestattete.
Großmutter stand ebenfalls auf. Ihre Kraft kehrte zurück; Eliot spürte, wie sie wieder in ihre Glieder strömte, als sie seine Hand fallen ließ.
Sie sah auf Eliot und Fiona herab. »Sagt eurer Urgroßmutter auf Wiedersehen, Kinder.« Dann erklärte sie Cecilia: »Du kommst nicht mit. Es ist nicht genug Platz in Henrys Auto.«
Cecilia machte ein langes Gesicht.
Eliot und Fiona gingen zu ihrer Urgroßmutter und umarmten sie.
Sie erwiderte die Umarmung so fest, dass Eliot glaubte, dass sie ihnen vielleicht ein paar Knochen brechen würde. Dann schob sie die beiden sanft von sich, und Tränen standen in ihren alten Augen. »Seid tapfer«, flüsterte sie. »Lasst nicht zu, dass sie euch trennen. Gemeinsam seid ihr stärker.«
Eliot sah eine Intensität, die er noch nie zuvor wahrgenommen hatte, in Cees Blick – so, als hätte sie ihm sehr viel zu erzählen … aber keine Zeit mehr.
Großmutter scheuchte sie zur Vordertür, die Onkel Henry
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