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Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils

Titel: Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Nylund
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alte Mann zu ihm. »Es ist ein Einzelstück.«
    Eliot betrachtete die Violine.
    Sie war bestoßen, schartig und so matt, wie gewöhnliches Holz es nur irgend sein konnte, und doch hatte sie etwas an sich, etwas, das viel tiefer lag, als die Augen reichten.
    Er stützte die Geige auf die Schulter, wie er es den alten Mann hatte tun sehen, und zog den Bogen vorsichtig über die Saiten. Ein Geräusch, als würde Glas auf knisternden Hochspannungsleitungen zerrieben, jaulte aus dem Instrument hervor.
    Der alte Mann zuckte zusammen.
    Über ihnen stießen Krähen Protestschreie aus.
    Eliot ließ sich nicht einschüchtern, sondern lockerte seinen Griff und ließ das Gewicht des Bogens die meiste Arbeit erledigen. Der Klang beruhigte sich zu einem Schwarm wütender Bienen und setzte sich dann in glatten Tönen.
    »Ah«, seufzte der alte Mann; er sah beeindruckt aus.
    Eliot veränderte die Haltung des Bogens und zupfte an den Saiten. Zu seinem Entzücken ertönten einfache, aber gleichmäßige Noten. Nach einem Dutzend dieser Töne setzte er ihre Anordnung im Kopf wieder zusammen und zupfte das Kinderlied.
    Der alte Mann applaudierte. »Bravo, junger Maestro!« Er beugte sich näher heran. »So viel Talent in solch zarten Händen.«
    Unter normalen Umständen hätte dieses Kompliment Eliot
erröten lassen, denn seine Hände waren zart, zu klein und zu schlank – aber vielleicht für ein Instrument dieser Größe genau richtig.
    Eliot hielt die Geige fest und probierte das Lied noch einmal, diesmal mit dem Bogen. Zuerst kam nur ein zittriges Geräusch – ganz kratzig und quietschend -, aber er machte weiter, und es entspannte sich.
    Er spielte.
    Er sah nicht länger das Gässchen, den alten Mann oder Fiona. Eliot war irgendwo anders, mit einem anderen Publikum um sich herum: Tausend Leute hielten in einer überfüllten Musikhalle stumm den Atem an, Kinder kreischten vor Lachen und tanzten mit tapsenden Füßen um ihn herum. Die Luft selbst kreiste, von seinem Lied zur Raserei getrieben, und Eliot roch bei jedem Ton frische Blumen.
    Er beendete das Lied mit einem kleinen, unsicheren Vibratoschnörkel und hob den Bogen von den schwingenden Saiten.
    Eliot keuchte. Kein einziges Auto fuhr auf der Midway Avenue, kein Insekt summte über den nahen Mülleimern; Eliot konnte noch nicht einmal seinen Herzschlag hören. Es gab nur die ganz leisen, ersterbenden Töne, die noch immer tief in der Geige nachklangen.
    » Magnifique !« Der alte Mann klopfte Eliot auf die Schulter.
    Fiona stand da und starrte ihn mit offenem Mund an. Eliot hatte diesen Gesichtsausdruck bei seiner Schwester noch nie gesehen: Er lag irgendwo zwischen Erstaunen und Verärgerung.
    Oder war es Eifersucht? Sie war noch nie eifersüchtig auf ihn gewesen. Sie war immer besser – in allem.
    Fiona fasste sich. »Wir gehen jetzt besser. Wir kommen jetzt schon zu spät.«
    Wenn sie zu spät kamen, würde Ringo’s vielleicht Großmutter anrufen. Und wenn sie von dieser Musik erfuhr … Eliot war sich nicht sicher, was sie tun würde.
    Er reichte dem alten Mann widerstrebend den Bogen und die Geige zurück. »Danke. Vielen Dank.«
    »Ich danke dir . Es war eine Ehre, deinen ersten Auftritt
miterleben zu dürfen. Ich hoffe, es ist einer von vielen.« Er drückte Eliot die Schulter und nahm die Violine – obwohl das Instrument an Eliots Fingern klebte, als ob es nicht wegwollte.
    Er wollte noch mehr spielen. Das hier war nicht wie die Arbeit oder das Schreiben von Aufsätzen. Eliot hatte ganz selbständig etwas geschaffen.
    »Ich gehe jetzt wirklich besser«, sagte Eliot, den Blick noch immer auf die Geige gerichtet. »Die Arbeit wartet … und dann sind da auch Großmutters Regeln. Ich soll keine Musik spielen.«
    »Eine Regel gegen das Spielen von Musik?«, fragte der alte Mann. »Wirklich? Sie hatten sogar im finsteren Mittelalter Musik – keine sehr gute, aber immerhin Musik. Sogar die Nazis mochten Musik. Was für eine lächerliche Regel!«
    »Ja«, flüsterte Eliot. »Vielleicht ist sie das.«
    Fiona ging voran, zurück zum Bürgersteig.
    Auf der Straße hatten sich sechs Krähen um irgendein überfahrenes Tier geschart; sie schauten auf und starrten sie an.
    Eliot hörte, wie der alte Mann hinten im Gässchen ihm nachflüsterte: »Versprechen, Herzen … Alles ist gemacht, um gebrochen zu werden, junger Mann. Besonders Regeln.«

21
    Berauscht
    Eliot versuchte, schneller zu gehen als seine Schwester – ein Ding der Unmöglichkeit, da ihre Beine sieben

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