Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
wäre sie ein Echo von Eliots Gedanken.
Großmutter warf ihr einen Blick zu, der sie zum Schweigen brachte.
Robert fuhr fort: »Sie dachten, das sei das einzig Faire. Mr. Mimes sagte: ›Die eigene Mythologie der Kinder wird eine Brücke schlagen zwischen ihrer alltäglichen Welt und der phantastischen, in die sie gehören‹, oder etwas in der Art.«
Hinter Eliot sagte Fiona: »Ich glaube nicht, dass es mir gefällt, wenn Onkel Henry mich ein ›Kind‹ nennt.«
Eliot wirbelte herum.
Seine Schwester sah aus, als sei sie gerade unter der Dusche
hervorgekommen. Ihr Haar lag in dunklen Locken um ihr Gesicht und war nicht kraus und wirr wie sonst. Sie trug ihre Kordhosen, Arbeitsstiefel und ein grünes Hemd. Außerdem hatte sie sich eine ausgefranste Büchertasche aus Segeltuch über die Schulter geworfen. Das hier waren ihre am wenigsten bescheuerten Kleider.
Sie hielt sich aufrecht, den Kopf hoch erhoben, und sah selbstbewusst aus. Beinahe wirkte sie wie eine jüngere Version von Großmutter.
»Du siehst nett aus, Liebling«, säuselte Cee. Das Zittern in ihrer Stimme erzählte aber etwas ganz anderes.
»In der Tat«, bemerkte Großmutter emotionslos.
Robert starrte Fiona an und musterte sie; dann fand er den Faden wieder. »Ich sagte Ihnen ja nur, was er gesagt hat, Miss.«
»Ich heiße Fiona.«
Sie hatte ihn schon vorher auf der Fahrt zu Onkel Henry gesehen, aber Fiona streckte ihm dennoch die Hand hin, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt; die Geste lag halb zwischen einem Händeschütteln und einem zierlich ausgestreckten Handgelenk, das jemand küssen sollte.
Warum benahm sie sich plötzlich so eigenartig? Eliots Schwester redete nicht mit Fremden, besonders nicht mit Jungen. Und nie in Großmutters Anwesenheit.
Robert nahm ihre Hand und hielt sie einen Augenblick lang fest.
Fiona zog die Augenbrauen hoch wie Großmutter, wenn sie sich ärgerte oder sich für etwas interessierte.
Nach einigen unbehaglichen Sekunden des Schweigens sagte Großmutter: »Nun, Mr. Farmington, Sie sind hergekommen, haben sich vorgestellt und Ihre Botschaft überbracht. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie gehen.«
Er ließ Fionas Hand los. »Ja, Ma’am. Sie haben ja meine Telefonnummer und meine E-Mail-Adresse, falls Sie mich brauchen.«
Großmutters Augen wurden schmal; Eliot wusste, das bedeutete, dass sie Robert Farmingtons Dienste weder jetzt noch in Zukunft benötigten.
»Ich bringe dich nach draußen«, bot Fiona an.
»Er braucht keine Hilfe, um die Tür zu finden«, sagte Cee und versteckte ihr Unbehagen hinter einem trockenen Lachen.
»Das ist das Mindeste, was wir tun können«, sagte Fiona. »Mr. Farmington ist von so weit her gekommen, um uns zu besuchen.«
Großmutter nickte ihr ganz leicht zu.
Fiona führte Robert zur Tür.
»Es war schön, dich kennenzulernen«, sagte Eliot.
Robert nickte ihm lässig zu, verneigte sich dann vor Cee und danach noch tiefer vor Großmutter.
Fiona führte ihn den Flur entlang und schloss die Tür hinter ihnen beiden.
»Es gefällt mir nicht, dass sie allein mit diesem Jungen ist«, flüsterte Cee.
»Sie wird erwachsen«, antwortete Großmutter und nahm einen Schluck Tee. »Vielleicht kann sie mehr herausfinden. Was süß ist, führt die Lippen in Versuchung, nicht wahr?«
Erwachsen werden? Glaubte Großmutter, dass es das war, was da gerade mit Fiona geschah? Eliot spürte, wie ein Dutzend verschiedener Dinge auf sie beide prallte und an ihnen zerrte, Kräfte, die er weder verstand noch zu schätzen wusste.
24
Eine kleine, wichtige Wahrheit
Fiona brachte Robert zur Treppe.
Ihr Blut war heiß und klopfte einen Trommelwirbel in ihrer Brust. Noch nie war sie so nervös gewesen.
Sie gewöhnte sich aber daran. Alles, was sie tun musste, war durchzuhalten und nicht in ihr übliches Verhalten einer ewig auf den Boden starrenden Idiotin zurückzufallen.
Sie war fast die ganze letzte Nacht über wach geblieben,
hatte die zweite und dritte Lage Pralinen aus ihrem herzförmigen Kasten gegessen – wie viele Pralinen konnte man eigentlich in das winzige Behältnis stopfen? -, Machiavelli gelesen und herausgefunden, was er von den mittelalterlichen italienischen Fürsten hielt – und, noch wichtiger, wie man sie überlebte.
Robert blieb an der Tür zum Treppenhaus stehen und tat so, als würde er das IM-BRANDFALL-BENUTZEN-Schild lesen.
Er war größer als sie, und sie war es nicht gewohnt hochzuschauen, wenn sie mit Jungen redete. Es war eine nette
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