Gemischte Gefühle
konnte. Es kämpfte mit Klauen und Zähnen; wie ein Schuß klang es, wenn sein Maul einmal ins Leere schnappte.
Der Kampf wogte hin und her. Fetzen horniger Haut flogen, orangefarbene Gallerte drang zwischen Panzerringen hervor, rostbraunes Blut zeichnete Kringel in den Sand. Schließlich verbiß sich der Schnabel in den Hals der Schlange, dicht hinter dem Kopf. Wie Sägen arbeiteten die Zahnreihen – als der Drache endlich von seinem Widersacher abließ, hing der Schlangenschädel nur noch lose am sich windenden Körper.
Alf ließ den angehaltenen Atem pfeifend den Lungen entweichen. Als er vor drei Tagen auf der Erde angekommen war, hatte er geglaubt, in den langen Jahren Abstand gewonnen zu haben, eine neue Sicht, die trotz aller Begeisterung nüchterner war, berechnender, bewußter. Doch jetzt merkte er, daß es ihn mitriß wie damals, als er noch unter der Aufsicht des Erziehers mit den Klassenkameraden irgendwo dort unten in der Menge eingekeilt gestanden hatte. Er fühlte das gleiche Herzklopfen, die gleiche Benommenheit, das gleiche Hochgefühl, einem unbeschreiblichen Abenteuer beizuwohnen. Seit damals hatte es kein anderes Ziel für ihn gegeben, als Gladiator zu werden – die höchste Stufe des Heldentums in einer spannungslosen Welt. Es war anders gewesen als bei vielen seiner Freunde aus dem Internat, die Raumschiffkapitäne werden wollten, Versuchspiloten oder Planeten-forscher. Auch ihm war der Gedanke spontan gekommen, aus aufgewühlten Emotionen heraus, unter dem Eindruck des Erlebens, aber er hatte seiner Phantasie nicht gleich nachgegeben, er war davor zurückgeschreckt, nach den Sternen zu greifen. Dann aber, nach und nach, war die Idee in ihm gereift, er hatte einen Entschluß gefaßt und sich eine Aufgabe gestellt. Seither war er seinen Weg gegangen, Schritt für Schritt, ohne nach rechts oder links zu blicken, unbeirrt. Und jetzt stand er dicht vor dem Ziel. Heute würde die Entscheidung fallen …
Die Pause war vorbei; die Fanfaren schmetterten ihre Hymne – die Hymne der Gladiatoren. Denn jetzt war die Zeit der letzten Runde gekommen, Abschluß und Höhepunkt des Spektakels: der Kampf zwischen Mensch und Bestie. Es war die Verkörperung menschlicher Daseinsbehauptung an sich, das älteste Drama der Weltgeschichte und doch zeitlos wie Verzweiflung oder Hoffnung, Angst oder Mut, Untergang oder Sieg.
Und dann ertönte ein Röhren aus einem geifernden Maul, ein sechsfüßiges Ungeheuer flitzte in die Arena, ein kegelförmiger Kopf, lange Zahnreihen zwischen gefletschten Lippen, kugelige Facettenaugen, gesträubtes Gefieder. Es war ein Riesentapir aus den Sümpfen des Heron 4, eines fernen Himmelskörpers, über Entfernungen von Lichtjahren herbeigebracht, um sein Leben unter den Hieben der Elektropeitschen, den Strahlen der Laserpistolen und den Einschlägen der Molotowkugeln auszuhauchen. Es war zehn Meter lang, es lief die Begrenzung der Kampffläche entlang, tief geduckt und überraschend schnell, und manchmal richtete es sich hoch auf, das Maul in die Luft gereckt, die Hufe der Vorderbeine in die Leere schlagend, als wolle es schattenboxen. Wo es vorbeikam, wichen die Zuschauer unwillkürlich zurück, so erschreckend erschien die unmittelbare Nähe des Tiers, obwohl doch jeder wußte, daß die Arena von einem Gravitonenvorhang umschlossen war, ein undurchsichtiger aber ebenso undurchdringlicher Panzer, perfekter Schutz für das Publikum. Noch entscheidender – wenn auch in umgekehrtem Sinn – war die Abschirmung für den Kämpfer: Er war auf sich allein gestellt, befand sich, obwohl den Blicken unzähliger Zuschauer auf den Rängen und an den Fernsehschirmen preisgegeben, in einer eigenen, abgeschlossenen Welt, in die niemand eingreifen, in der ihm niemand helfen konnte. Es waren nicht wenige, die diese Hilfe gebraucht hätten.
Alf Fisher war sich dieser Situation wohl bewußt, und trotzdem: Als nun ein Mann auftauchte – geradezu verloren wirkte er im Kreis der Kampffläche –, als die Bestie plötzlich stutzte und mit zitternden Flanken wie erstarrt stehenblieb, als sich der Mann nun mit langsamen, in seiner Panzerung fast unbeholfen wirkenden Schritten in Bewegung setzte, die Elektropeitsche in angedeuteter Abwehr vor sich ausgestreckt, da überkam Alf Fisher ein unbeschreibliches Gefühl, ein Interferieren von Neid, Sehnsucht, Ungeduld, Zweifel, Mitleid und Erwartung.
Wieder begann das Tosen, erst dumpf, von spitzen Schreien durchsetzt, dann anschwellend bis zu einer
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