Gemischte Gefühle
jetzt lassen Sie mich in Ruhe. “ Er nahm, ohne den a n deren weiter zu beachten, seinen Schritt wieder auf.
„ Herr Sanders “ , sagte der Fremde und blieb an Gerbers Seite, „ hat einen Vertrag mit unserer Gesellschaft abg e schlossen. Wir sind dazu verpflichtet …“
Gerber holte aus und versetzte dem Mann einen Schlag auf die Nase. Der Dünne kippte um, verlor das Gleichg e wicht und stürzt e ü ber die kaum vierzig Zentimeter hohe Umzäunungsmauer in die Wupper. Es klatschte laut. E r schreckt sah Gerber sich um und überquerte die Straße.
Den ganzen Morgen über hatte Christian im Wartezi m mer des Freiwilligenmeldebüros verbracht. Er war aufgeregt und ängstlich, gleichzeitig aber bestrebt, seine Mitbewerber nichts von der Löchrigkeit seines Nervenkostüms merken zu lassen. Es kostete ihn einige Kraft, den unbeteiligten G e sichtsausdruck beizubehalten, wenn er in die Gesichter der anderen sah. Es waren sieben außer ihm, die heute geko m men waren, um sich die Testergebnisse abzuholen. Drei w a ren bereits wieder gegangen; einer davon mit zusammeng e bissenen Zähnen, als wolle er damit ausdrücken, er habe von Anfang an gewußt, daß man seine Qualitäten nicht richtig werde einschätzen können. Die beiden anderen – drahtige junge Burschen, denen man die sportliche Betätigung auf den ersten Blick ansah – schienen außerordentlich zufrieden mit ihren Bewertungsbogen gewesen zu sein. Ein Haup t feldwebel hatte sie sofort in Empfang genommen. Wah r scheinlich befanden sie sich jetzt schon auf dem Weg in die Grundausbildung.
Ein neuer Kandidat wurde aufgerufen. Christian musterte die beiden Männer, die nach ihm an der Reihe waren, und versuchte sich vorzustellen, was sie jetzt wohl dachten. E i ner von ihnen, ein braungebrannter Bursche, dem das Selbstvertrauen förmlich aus den Augen sprang, musterte ihn mit einem abschätzenden Blick. Christian wurde sich erschreckt seiner ungeputzten Schuhe bewußt. Der Blick des anderen wanderte jedoch weiter, als hätte er nichts wahrg e nommen und blieb schließlich auf dem dritten Mann haften, der in einer merkwürdig starren Haltung unter dem Plakat saß, das ihnen versprach, sie würden in der Welt heru m kommen, sollten sie sich dazu entschließen, Soldat zu we r den. Der Blick des hochgeschossenen Blondschopfs ging in die Leere, und die Art wie er die Finger der rechten Hand auf dem Armbandsteuergerät des linken Unterarms ruhen ließ, deutete darauf hin, daß er sich – ungeachtet der Umg e bung – einen SensiFilm ansah.
Christian schüttelte unmerklich den Kopf, zog eine Pr o grammzeitschrift aus dem rechts neben ihm stehenden Stä n der und schlug die Seite auf, die das heutige Programm a n zeigte. Er verzog enttäuscht die Lippen, als er feststellte, daß gerade in diesem Momen t a uf Kanal eins eine neue Folge von Das Combat-Team lief. Der Blonde war als letzter g e kommen, also hatte er noch genügend Zeit, um diese Epis o de voll mitzubekommen. Christian ließ die Programmzei t schrift sinken. Er wäre dem Beispiel des anderen gerne g e folgt, aber die Zeit drängte, bald würde man ihn hereinrufen – und außerdem wußte man niemals, ob es nicht noch einen ultimativen Test gab, der hier im Wartezimmer stattfand. Wer garantierte ihm, daß man ihn und die anderen nicht durch ein verstecktes Kameraobjektiv beobachtete, um zu erfahren, wer in Wartepositionen dazu neigte, unaufmer k sam zu werden?
Die Tür öffnete sich, und der Mann, der vor Christian h i neingegangen war, kam heraus. Er schwenkte fröhlich ein beschriebenes Papier und signalisierte mit einem idiotischen Grinsen, daß man ihn akzeptiert hatte.
Christian spürte, daß seine Nerven zu flattern begannen. Für ihn ging es um alles oder nichts. Um festes Einkommen oder Sozialamt. Seine Kehle war wie ausgedörrt.
„ Herr Christian bitte “ , sagte eine gelangweilt klingende Stimme.
Christian stand auf. Für ihn stand alles auf dem Spiel. Er hatte zuerst die Schule und dann die Lehre abgebrochen. Er wollte kein Maurer sein, sondern an Dingen teilnehmen, d e ren Erledigung nach echten Männern verlangte.
Als er das Büro betrat, in das Gesicht des verdorrten B e amten sah, der geschäftig einen Papierstapel von einer Schreibtischecke in die andere schob, und den Hämmern seiner Schläfen lauschte, war er überzeugt davon, daß man ihm seine Angst ansehen konnte.
Das vergilbte Plakat verhieß:
NEHMEN SIE TEIL
STEHEN SIE NICHT ABSEITS
DAS NEUE SENSIFILM-SYSTEM
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