Gemischte Gefühle
…!“
Er flog auf die Straße, als sich sein Pferd auf der Hinte r hand aufbäumte. Es scheute vor einem ohrenbetäubenden Sirenengeheul zurück.
Sekunden später fegte ein Feuerlöschzug mit aufgeble n deten Scheinwerfern und Blaulicht durch die brennende, säulenverzierte Prachtstraße. Keine Ahnung, wo sie hinwol l ten. Vielleicht wollten sie das Kolosseum löschen. Vielleicht türmten sie auch einfach.
Als hätte der Löschzug das Signal gegeben, brach gleich darauf ein kreischendes Pandämonium über uns herein.
Eine Gruppe grölender englischer Römer kam einer Gruppe grölender französischer Römer in die Quere. Im Nu war eine Schlägerei im Gange, die jedem Pokalfinale zur Ehre gereicht hätte.
„ Bloody Tourists. “ – „ Cretin anglais. “ – „ Fucking French bastard . “ – „ Arghh. “
Als sie anfingen, mit den Schwertern aufeinander losz u gehen, trampelte eine Elefantenherde heran und löste das Scharmützel auf. Alle spritzten auseinander und suchten Z u flucht vor den grauen Kolossen. Es waren Hannibals Elefa n ten, ein Stilbruch, der zu den größten Attraktionen in Rom zählte.
Aber auch sie waren in wenigen Sekunden wie ein Spuk ve rs chwunden. Ab und zu hörte man noch aus den Seite n straßen in der Nachbarschaft ihr zorniges Trompeten.
Es gab nichts dran zu rütteln. Hier waren alle überg e schnappt. Wenigstens zeitweise. Was wollte ich eigentlich noch hier?
Ich schaute mich nach einem Videophon um. Ich mußte Roussel Bescheid sagen.
„ Freiheit von der Sklaverei! Freiheit von der Sklaverei! “
Mit diesem Schlachtruf kamen sie um die Ecke. Es waren Hunderte. Sie marschierten hinter einem Typ her, der sich wie Spartacus oder Kirk Douglas oder beides vorkam.
Bei denen hatte es wirklich völlig ausgehakt. Was sollte denn der Quatsch schon wieder? Sklaverei! Wer wurde denn hier unterdrückt? Aber wahrscheinlich hatten sie nur ein Motto für ihren Gaudi-Marsch gebraucht.
Einer, der mit einer Leier neben der Marschkolonne ei n hertänzelte , rief mir zu: „ Komm doch mit! “
„ Wohin? “
„ Weiß ich nicht! Aber es ist ein Mordsspaß! “
Ich schaute in sein freundliches Oberstudienratsgesicht und fragte mich, was um Himmels willen in diese Leute g e fahren war.
Und dann sch osse n aus einem unterirdischen Hangar u n ter dem Jupiter-Tempel zwei Einsatzfahrzeuge der Ferienp o lizei heraus. Sie fackelten nicht lange.
Spartacus griff sich an die Brust, wo ihn der Betäubung s pfeil getroffen hatte, und fiel der Länge nach hin. Granaten mit Tranquilizer-Gas explodierten auf dem Pflaster. Bläul i che Schwaden begannen zu wallen. Die ersten Leute kippten um.
Ich machte, daß ich wegkam.
„ Da läuft einer! “
„ Das ist einer von den Saboteuren! “
Eine Maschinenpistole ratterte los. Ich hechtete um eine Ecke. Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie in der Wand, an der ich gerade entlanggerannt war, in Schulte r höhe eine kerzengerade Reihe von Einschußlöchern en t stand.
„ Die sind wohl wahnsinnig “ , keuchte ich und rannte, wie ich noch nie gerannt war. Die hätten mich glatt auf einen vagen Verdacht hin abgeknallt!
Ich warf mich durch eine schmale Tür, die ich sofort wi e der hinter mir zuknallte. Zehn Minuten später wußte ich, daß sie meine Spur verloren hatten. Während dieser Wartezeit begriff ich auch, was mich so verdächtig gemacht hatte: Ich trug immer noch meine stilechte Twickenhamer Kluft – Tweedsakko, Breeches und Reitstiefel. Die ideale Aufm a chung, um unter lauter Römern aufzufallen wie ein längsg e streiftes Känguruh.
Suchend tappte ich durch das leere Haus. Das Atrium lag ruhig im Mondschein unter dem rötlich flackernden Hi m mel. Aus der Ferne hörte man Sirenengeheul und das gel e gentliche Knattern einer Maschinengewehrsalve. Die erot i schen Darstellungen an den Wänden streifte ich nur mit e i nem Blick. Surrealistisch angehauchte Szenen geheimni s voller Rituale, durchzogen von merkwürdig emotionslosen Sadismen. Die Angst - und Todesschreie, die in den Straßen widerhallten, schienen die wächsernen Bilder auf traumhafte Weise zu kommentieren.
Pompeji 1996.
In einer kleinen Kammer hinter dem Peristyl fand ich das Videophon. Ich schob meine Code-Karte rein und tippte Roussels Nummer ein. Nichts geschah. Die Leitung blieb tot.
Ich fluchte ausdauernd. Dann durchstöberte ich das ganze Haus nach einem funktionierenden Kommunikationsmed i um. Aber ich fand nichts außer einem Videogerät mit einer gewaltigen
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