Gemischte Gefühle
“
Sein jungenhaftes Dressman-Gesicht war grau und müde. Er fuhr sich mit einem Ärmel seines T-Shirts über seine schweißverklebten Wangen. Seine Bartstoppeln machten ein kratzendes Geräusch.
„ Aber beweisen können wir ’ s ihnen natürlich nicht. “
Wir schwiegen beide.
„ Guerillakriegführung als absatzförderndes Instrument “ , sagte ich schließlich gallig. „ Die Fortsetzung des Marketing mit anderen Mitteln. Weit haben wir ’ s gebracht. “
„ Ja. Auf 53 Tote. Ohne Rom. Bis jetzt. “
„ Von der Schlappe erholen wir uns nie wieder. “
„ Wohl kaum. Ist mir auch egal. Ich hab die Nase voll. Ich schmeiß den Krempel hin. “
Ich sah ihn verblüfft an. Sowas aus dem Munde dieses Super-Managers zu hören, damit hatte ich nicht gerechnet.
„ Es lohnt sich nicht “ , murmelte er. „ Man wird da in Di n ge verstrickt, die einem irgendwie aus der Hand geraten. Die Dinge werden unkontrollierbar und gefährlich. “
Es war die Bankrotterklärung seines Weltbildes. Er hatte immer in dem Glauben gelebt, daß alles mach - und planbar war. Nun hatte er die Segel gestrichen. Und er war dabei absolut konsequent, wie immer. Ich fühlte zum erstenmal Sympathie für ihn – sogar Respekt.
„ Was ist denn passiert? “ fragte ich.
„ Alles, was sich Menschen nur antun können. Dies war ein Paradies. Nun ist es ein Trümmerhaufen. Okay, es war ein gemanagtes Paradies. Mit zuviel Manipulation, das seh ’ ich jetzt. Aber es war in Ordnung. Die Leute hatten ihren Spaß dran. Mehr Spaß als sonstwo. Das ist jetzt aus. Die Schlange ist ins Paradies gekommen. Die Unschuld ist weg. Scheiße. “
Er riß sich zusammen und griff nach einigen Schaltern.
„ Ich geb ’ s Ihnen auf den Bildschirm. Das sind die aktue l len Monitorbilder. “
Ein geschäftiger Hafen mit überfüllten Straßen.
„ Chinatown. Haben sie irgendwie nicht erreicht. Alles in Ordnung. “
Eine Märchenstadt mit schlanken Marmortürmen und vergoldeten Kuppeln. Gespenstische Ruhe. Überall auf den Straßen lagen Menschen in den merkwürdigsten Verrenku n gen.
„ Bagdad. Auch eine Psychodroge, aber eine, die passiv macht. Alle sind total stoned. Hätte schlimmer kommen können. “
„ In Twickenham ging es auch ziemlich glimpflich ab. Sind wohl zu ruhige, introvertierte Leute dort. Aber hier, auf der Straße von Twickeham nach Rom hat ’ s Ärger gegeben. “
Ein Landrover und ein römischer Streitwagen waren i n einander gekracht. Wüstes Geschrei lag in der Luft. Gladi a toren und rotbefrackte Gentlemen bekriegten sich zu Pferde mit Schwertern, Poloschlägern und allerlei Hieb - und Stic h instrumenten. Aber es sah alles nicht so ernstgemeint aus.
„ Zum Liberty Club haben wir keine Bildverbindung. Dort hat es eine gewaltige Orgie gegeben, aber so gut wie keine Gewalttätigkeiten. Scheint was dran zu sein an der Theorie, daß Leute, die ihre Sexualität stärker ausleben, weniger A g gressionen in sich anstauen. Auf jeden Fall Love and Peace dort. “
Dann, wie ein Tiefschlag, verkohlte Felder mit verkohlten Leichen. Leblose Körper, die an Bäumen baumelten. Au s gebrannte Herrenhäuser. „ Alphaville. “ Roussels Stimme zitterte. „ Da sind die Herrenmenschen und die ‚ Sklaven ’ aneinandergeraten. Sie haben alle Scheußlichkeiten aus den Geschichtsbüchern wiederholt. Lynchen, Teeren und Federn Femegerichte, Massenmorde. Unsere Kulisse hat die en t sprechende Mentalität erzeugt. “
Langsam begriff ich, warum Roussel alles hinschmeißen wollte. In mir kroch derselbe Wunsch hoch.
„ Ibiza können wir auslassen. Da haben sie nur sämtliche Geschäfte und Bars geplündert. Und eine ziemlich große Gruppe hat die Grenzposten überwältigt und sich dann nach Tahiti abgesetzt. Das war das Schlimmste, denn die Bonzen in Tahiti haben ihr Gebie t, v erteidigt ’ . So ein sinnloses und brutales Gemetzel können Sie sich gar nicht vorstellen, Ro s si. “
„ Aber warum denn, um Himmels willen? “
„ Was weiß ich. Vielleicht haben sie ihren Neid auf die Jugend abreagiert. Vielleicht haben sie immer auf die Gel e genheit gewartet, einen Einbrecher auf ihrem Villengrun d stück abzuschießen. Notwehr, verstehen Sie? Vielleicht wollten die Bürohocker und leitenden Herren nur mal wi s sen, wie es ist, wenn man ein Messer in einen reinsteckt? Vielleicht braucht man einen Killerinstinkt, um in der sozi a len Hierarchie so weit nach oben zu kommen? Vielleicht war es auch nur eine chice Abwechslung für diese
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