Gemma
den Mann ihr gegenüber. Wenn
überhaupt möglich, sah Godfroy Ranleigh noch besser aus als damals, als sie ihn
in England zum ersten Mal gesehen hatte. Seine blonden Locken waren mit einer
Seidenschleife zurückgebunden und seine Züge überzog eine leichte Bräune, die
ihm ausnehmend gut stand. Wenn da nicht seine hellen, toten Augen gewesen
wären, und die Pistole in seiner Hand, die er auf sie gerichtet hielt, hätte
Gemma ihn durchaus als gutaussehend bezeichnet.
»Ich würde diesen Tag kaum schön nennen«, fuhr sie ihn an. Wieder
glitt ihr Blick zu Rupert. Seine dunkle Gesichtshaut wirkte wächsern.
»Aber Gemma, grämt Euch nicht.« Mit dem Fuß
stieß er Rupert an. »Ist doch nur ein dreckiger Nigger. Was macht es schon, ob
er lebt oder stirbt.« Seine kalten Augen richteten sich auf Gemma. »Dann kauft
man sich eben einen neuen.«
Gemma spürte Zorn in sich aufwallen und ballte in ohnmächtiger
Wut die Fäuste.
Wie konnte Ranleigh nur so gefühllos sein?
»Darf ich mich bitte um ihn kümmern?«, presste sie zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor, aber Ranleigh lachte nur kopfschüttelnd.
Seine Zähne blitzten weiß und ebenmäßig in dem gebräunten Gesicht. Verzweifelt
schloss Gemma die Augen.
Sie waren kurz nachdem sie und Rupert die Straße erreicht hatten
über sie hergefallen. Wie aus dem Nichts erschienen zwei Pferde aus einer
Lichtung im Unterholz und blockierten die Straße.
Die Braunen vor der Kutsche waren vor
Schreck gestiegen, und Rupert hatte sie nur mit Mühe bändigen können. Bevor er
auch nur die Möglichkeit gehabt hätte, irgendetwas zu unternehmen, hatte ihm
einer der Angreifer die Pistole an die Schläfe geschlagen, und Rupert war
bewusstlos zusammengesunken.
Dunkel und bedrohlich hatte die Mündung der Pistole auf Gemma
gezielt, und sie hatte sich entsetzt gefragt, ob der Angreifer abdrücken
würde. Scheinbar eine Ewigkeit hielt er den Lauf auf Gemma gerichtet, bis er
ihn langsam sinken ließ. Gemmas Erleichterung allerdings währte nur Bruchteile
von Sekunden, bis sie die groben Züge von Rawlins hinter dem Lauf der Waffe
erkannte.
Angst schnürte ihr die Kehle zu, und sie fragte sich verzweifelt,
was der Überfall zu bedeuten hatte. Die Antwort erhielt sie vom zweiten
Angreifer, der beinahe unbemerkt näher gekommen war, bis er direkt neben der
Kutsche stand.
»Nun, liebreizende Gemma, so sieht man sich
wieder. Wie geht's denn so?«, fragte Godfroy Ranleigh mit einem süffrsanten
Lächeln und schwang sich in die Kutsche. Gemma schnappte erschreckt nach Luft,
als er neben ihr in die Polster sank.
»Schöne Kutsche. Es scheint Bryce wirklich nicht schlecht zu
gehen.«
In der Zwischenzeit band Rawlins die Pferde hinten an die Kutsche
und schwang sich auf den Bock. Mit einem verächtlichen Grunzen hebelte er
Rupert nach hinten und ließ dann die Zügel auf die Rücken der Pferde
herniedersausen. Mit einem erschreckten Wiehern stoben sie vorwärts.
Ängstlich presste sich Gemma fester in das
Polster der Rückenlehne. Mit einer Hand hielt sie das Körbchen umklammert, in
der Hoffnung, so ihren Kindern Sicherheit geben zu können.
»Oh, wen haben wir denn da?« Geschmeidig wechselte Ranleigh die
Position, um in das Körbchen hineinsehen zu können. Seine Lippen verzogen sich
zu einem Lächeln, und er fasste ins Körbchen, um über eine runde Wange zu
streicheln. Erschreckt zuckte er zurück, als Gemma ihm hart auf die Finger
schlug.
»Aua«, meinte er beleidigt und schüttelte demonstrativ seine
misshandelte Hand. »Ich würde den Kleinen doch niemals etwas tun.« Noch einmal
sah er ins Körbchen.
»Eure?«, fragte er dann und hob beleidigend
eine Braue.
Gemma wünschte verzweifelt, dass sie ihre Kinder irgendwie vor
Ranleighs spöttischen Blicken schützen konnte, aber es gab keine Möglichkeit.
»Wer ist denn der Vater?«, wollte Ranleigh
wissen und ließ seinen Blick anzüglich über Gemmas Körper gleiten. »Doch nicht
etwa unser lieber alter Bryce.« Er lachte schallend, als hätte er einen guten
Witz gemacht, aber Gemma musste die Zähne zusammenbeißen, um ihm nicht ins
Gesicht zu schlagen.
Ihre Augen erfassten die rasend schnell vorbeiziehende Landschaft,
und für einen Moment bedauerte sie es, die Kinder dabeizuhaben. Ihr selbst
wäre es vielleicht gelungen, sich in einer Kurve aus der Kutsche zu stürzen,
aber mit Cecilie und Robert war das unmöglich. Und sie zurücklassen ... Niemals!
Lieber würde sie sterben.
Ihre Gedanken glitten zu Bryce. Großer
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