Gemma
London hatte sie mit diesem Problem zu kämpfen
gehabt, aber da hatte sie sich wenigstens allein in einen Winkel verkriechen
können, bis alles überstanden war. Hier ging das nicht.
Als sie endlich alles Nötige zusammenhatte, war ihr bereits so
übel, dass sie nahe daran war zusammenzuklappen, aber unbarmherzig rief Butch
sie in die Kombüse und an die Arbeit. Ihr Bauch tat höllisch weh, und ihr
Gesicht hatte einen leicht grünlichen Schimmer. Gott sei Dank dachte sich an
Bord eines Schiffes niemand etwas dabei.
»Weißt du, irgendwie ist es schon seltsam, dass du erst nach einer
Woche seekrank wirst«, versuchte Butch sie aufzuheitern. »Oh Gott, ich
erinnere mich an mein erstes Mal auf einem Schiff. Ich habe tagelang gekotzt,
und ich habe noch gewürgt, obwohl mein Magen völlig leer war. Wir haben nur so
eine dünne Hafergrütze zu essen gekriegt, nicht so feine Sachen wie an Bord der Dragonfly. Mannomann, ich sehe noch immer den grünen Schleim vor mir,
den ich hochgekotzt habe ...« Er brüllte vor Lachen, als Gemma, eine Hand vor
den Mund gepresst, aus der Kombüse rannte, so schnell ihre Füße sie trugen. Der
Weg bis zur Reling erschien endlos, und als sie sie erreichte, schaffte sie es
gerade noch, den Kopf hinüberzubeugen.
Nachdem sie sich so lange ruhig und
unauffällig verhalten hatte, war sie auf einmal die Hauptattraktion. Auf See,
bei ruhigem Wetter mit ausreichend Wind, wie es sich alle erhofften,
passierte nicht viel, sodass jede Abwechslung willkommen war. Und ein
seekranker Kombüsenjunge war so gut wie jede andere Ablenkung.
Jeder wollte »helfen« und erzählte ihr in allen Einzelheiten sein
erstes Erlebnis mit der Seekrankheit mit dem Ergebnis, dass Gemma wieder und
wieder den Kopf über die Reling hielt, bis Jessup ihrem Elend ein Ende
bereitete.
»Verdammt, müsst ihr euch immer auf Kosten anderer amüsieren?«,
brüllte er und bahnte sich seinen Weg durch die Menge, die sich um Gemmas
zusammengesunkene Gestalt gebildet hatte.
»Wenn mich nicht alles täuscht, hat jeder von euch auch etwas
Sinnvolles zu tun, also verschwindet!« Niemand widersetzte sich der Order,
obwohl der ein oder andere murrte, dass sie sich prima amüsiert hätten.
Jessup legte einen Arm um Gemmas Schultern und zog sie an sich.
»Nimm's nicht persönlich. So sind sie nun einmal. Nächstes Mal
machen sie sich über jemand anders lustig. Bist du das erste Mal seekrank?«
Gemma nickte müde. Sie war viel zu ausgelaugt, um zu sprechen.
Ihre Augenlider wurden schwer, und als sie mit Gewalt versuchte, sie offen zu
halten, hatte sie Probleme, ihre Umgebung klar zu erkennen. Stöhnend presste
sie die Hände auf ihren Bauch. Der Schmerz schien noch stärker geworden zu
sein.
»Ich denke, es ist das Beste, wenn du dich für
den Rest des Tages hinlegst. Mister Harron wird auch einen Tag ohne dich
auskommen. Verdammt, ist er bisher ja auch. So wie ich ihn kenne, hat er mit
den Kotzgeschichten angefangen, oder?«
Gemma nickte.
»Na los.« Jessup führte sie die Stufen zur Kombüse hinunter. »Wir
holen dein Zeug und quartieren dich im Lagerraum ein, bis es dir besser geht.
Im Moment glaube ich kaum, dass du an die Vorräte gehst.«
Stöhnend schüttelte Gemma den Kopf und Jessup
lachte.
Sie musste sich konzentrieren, um weiterzugehen. Ohne Jessups
Hilfe wäre sie wahrscheinlich zusammengeklappt, so weich waren ihre Knie und so
schneidend die Schmerzen im Bauch. Sie lehnte an einem Pfeiler, während Jessup
ihre Hängematte aufhängte. Dann wandte er sich ihr zu, um ihr hineinzuhelfen.
Gemma zuckte zusammen, als Jessup nach den Knöpfen ihres Hemdes
griff.
»Nein«, protestierte sie schwach, als seine Finger ihre Haut
berührten.
»Jem, du wirst dich viel besser fühlen, wenn du freier atmen
kannst, glaub mir. Ich musste da auch schon durch.«
»Nein«, wiederholte Gemma und schob seine Hand weg. »Mir geht's
gut, wirklich. Alles, was ich brauche, ist ein wenig Ruhe, glaub ich.
Danke, Mister Harper«, sagte sie dann so würdevoll es mit grünem
Gesicht nur möglich war, und Jessup konnte sich des Gefühles nicht erwähren,
dass er gerade von einem einfachen Kabinenjungen entlassen worden war.
Sie waren
fort.
Die Möwen, die ihnen während ihrer ersten
Woche Gesellschaft geleistet hatten, waren verschwunden. Natürlich konnten
sie nicht so weit auf den Ozean hinausfliegen, aber Gemma vermisste ihre
Schreie und akrobatischen Flugkunststücke. Ihre Abwesenheit erinnerte Gemma
außerdem daran, wie verwundbar ihr
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