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Gemma

Gemma

Titel: Gemma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Last
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jemandem rief. Er folgte Jess' Blick und erhaschte einen
Blick auf eine schmächtige Gestalt, die zur Kombüse rannte und die schmale
Treppe hinab verschwand. Er lachte.
    »Also das ist dein letzter Streuner, oder?«
    Jessup warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich würde es begrüßen,
wenn nicht jeder über die Kinder redete, als seien sie herrenlose Hunde oder
Katzen.«
    »Also, Jess, du weißt, wie ich's meine.«
    »Ja, ich weiß«, brummte Jess ein wenig
besänftigt.
    »Was ist los?«, fragte Bryce scheinbar unbeteiligt und lehnte sich
an die Reling, während er darauf wartete, dass sein Freund es ihm erzählte.
    »Nichts, denke ich. Es ist nur, dass der Junge so anders ist als
all die anderen.«
    »Was meinst du, anders?« Bryce spannte sich. Mit der Hüfte gegen
die Reling gelehnt kreuzte er die Arme vor der Brust. Sein Interesse war
geweckt.
    Jessup zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht, wie ich's
sagen soll. Er ist halt anders. Weißt du, die meisten Jungen, die auf der
Straße aufwachsen, werden hart. Nun ja, Jem ist auch hart, auf seine Weise,
denke ich, aber – anders. Er ist kein Schlägertyp, auch wenn er hier mit zwei
Veilchen ankam. Er bricht nie Streit vom Zaun, sondern geht ihm eher aus dem
Weg. Er fasst nichts an, was ihm nicht gehört, er versucht auch nicht zu
trinken oder zu spielen, was ich fast vermutet hatte. Gestern ist er das erste
Mal seekrank gewesen. Alle haben ihn ausgelacht, aber er hat sich nicht
gewehrt. Mit Worten meine ich.«
    »Vielleicht ging's ihm dazu zu schlecht«, mutmaßte Bryce. »Ja,
kann schon sein. Der kleine Kerl war ziemlich fertig.
    Als ich ihn ins Bett brachte, schlief er sofort wie ein Stein.«
    »Du hast ihn ins Bett gebracht?«, fragte Bryce ungläubig. »Na
und?«, fragte Jess leicht beleidigt. »Der arme Kleine
    konnte kaum stehen.«
    »Meinst du, es ist was Ernstes?«
    »Nein, so wie's aussieht, geht's ihm wieder gut. Aber trotzdem –
er wirkt zu weich für ein Straßenkind. Du solltest mal sein Gesicht sehen. Wie
ein Engel. Wenn ich ihm nur so auf der Straße begegnet wäre, hätte ich gedacht,
er geht zur Klosterschule und singt im Chor. Es ist schon erstaunlich, dass
das harte Leben ihm das nicht hat nehmen können.«
    »Vielleicht sind seine Eltern erst vor kurzem gestorben?«,
mutmaßte Bryce.
    »Glaub ich nicht. Er wusste nicht einmal seinen Nachnamen. Ein
Kind, das zumindest eine Mutter hat, sollte den doch wohl wissen, oder?«
    »Ich denke schon. Also, du hast den kleinen Bengel richtig ins
Herz geschlossen, was?«
    »Wenn du nicht so ein kalter Hurensohn wärst, würdest du es auch
fühlen.«
    Bryce zuckte bei der Beleidigung nicht einmal
zusammen. Niemand an Bord wagte es, so mit ihm zu sprechen. Auch an Land würde
das niemand wagen. Jeder, der es dennoch tat, würde seine Zähne zum Nachtisch
serviert bekommen. Aber er und Jess hatten schon einiges zusammen durchgemacht,
waren Freunde, und deshalb war Jess der Einzige, der ungestraft so mit ihm
reden durfte. Aber auch Jess würde das niemals vor der Crew tun, um nicht die
Autorität des Kapitäns zu untergraben. Vielleicht hatte Jess sogar Recht, wenn
er sagte, er – Bryce – sei zu kalt. Aber sein Herz zu öffnen, hatte ihm
bisher noch nie etwas eingebracht. Das Einzige, was daraus wurde, war, dass
man jemandem die Möglichkeit gab, ihm einen Dolch in die Brust zu stoßen.
    Er war zufrieden damit, wie er war. Keine Verantwortung außer für
sich selbst und seine Crew. Er wurde respektiert, vielleicht sogar mehr als nur
respektiert. Er hatte alles, was er brauchte. Ein wunderbares Haus wartete in
der Nähe von New Orleans auf ihn, und die es umgebende Plantage brachte ihm
genügend Erträge, dass er sich für den Rest seines Lebens zur Ruhe setzen
konnte. Seine Schifffahrtsgesellschaft bescherte ihm sogar mehr, als er jemals
würde ausgeben können.
    Eines Tages würde er heiraten und einen Erben zeugen, der alles
übernehmen konnte, wenn die Zeit reif war.
    Seine Gedanken stoppten abrupt. Verdammt, fluchte er still. Er war
bereits verheiratet. Er war mit einer Hure verheiratet, die noch nicht einmal
an ihrem Hochzeitstag ihre Röcke hatte unten behalten können. Was war nur in
ihn gefahren, als er beschlossen hatte, sie zu heiraten? Warum hatte er es
getan? Wie hatte er nur auf ihr hübsches Gesicht und diese unglaublich blauen
Augen hereinfallen können? Er schnaubte angewidert, als er daran dachte, dass
Jess den Jungen als engelsgleich beschrieben hatte. Es kümmerte ihn

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