Gemma
überwachen zu
können. Was dafür allerdings meiner Ansicht nach sehr viel wichtiger wäre ...«
»Miss Crumberwickle, ist Euch schon einmal der Gedanke gekommen,
dass meine Tochter bei Eurem Unterricht unterfordert ist und sich deshalb
langweilt?«
Miss Crumberwickle schnappte empört nach Luft, als Captain
Edwards es erneut wagte, sie zu unterbrechen, aber ihr Gesicht färbte sich
hochrot, als er ihr unterstellte, sie würde ihre Schülerin unterfordern.
»Captain Edwards, damit geht Ihr eindeutig zu
weit!«
Edwards hob spöttisch eine Augenbraue. »Tue
ich das?«
»Allerdings. Noch nie hat mir jemand
unterstellt, ich würde einen Schüler unterfordern, schon gar nicht ein Mädchen.
Mädchen sind nicht zum Denken geschaffen. Sie sollen ihrem Mann das Haus in
Ordnung halten und ihm Kinder gebären, das ist die Aufgabe der Frau.«
»Dann habt Ihr wohl in Eurer Aufgabe als Frau versagt«, stellte
Edwards trocken fest, aber entschuldigte sich sofort, als Miss Crumberwickles
Gesicht sämtliche Farbe verlor.
»Es tut mir leid, bitte verzeiht meine unbedachte Äußerung. Ich
bin es nicht gewohnt, meine Worte auf die Goldwaage zu legen. Allerdings war
diese Äußerung wohl unverzeihlich.«
»Das sehe ich auch so.« Miss Crumberwickle
erhob sich. Ihr Rücken war gerade, als hätte sie einen Ladestock verschluckt,
ihre Schultern durchgedrückt und ihr Kinn beleidigt in die Höhe gereckt.
»Ich kündige.«
Edwards nickte langsam. »Unter den gegebenen
Umständen halte ich das für das Beste.« Miss Crumberwickles Mund öffnete sich,
als hätte sie Widerspruch erwartet und sei durch Edwards' Zustimmung um den
Genuss gebracht worden, seine Bitten abzulehnen, selbst wenn er sie anflehen
sollte zu bleiben.
»Ihr werdet selbstverständlich Euren vollen
Lohn für diesen Monat erhalten und eine Abfindung von drei Monatslöhnen, wenn
Euch das recht ist. Außerdem werde ich Euch ein gutes Zeugnis ausstellen, mit
dem Ihr sicherlich überall schnell eine neue Anstellung finden werdet.«
Edwards sah sie forschend an, ob sie noch irgendwelche Einwände
hatte. Aber sie drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und
entzündete seine Pfeife. Gemma schimpfte immer, wenn er sie rauchte, weil sie
den Geruch nicht mochte, daher beschränkte er sich auf sein Arbeitszimmer und
dann auch nur, wenn er allein im Raum war, oder mit jemandem zusammen, der sich
nicht daran störte. Er lächelte bei dem Gedanken an Gemma und daran, wie sehr
sie sich über die Bücher und das Planetenmodell gefreut hatte. Jedes andere
Mädchen in ihrem Alter wäre enttäuscht gewesen, dass sich die Juwelen in einer
Metallkonstruktion befanden und nicht in einem Halsband.
In den nächsten Wochen würde er Gemma selbst unterrichten, für
die Zeit danach musste er sehen, dass er eine neue Lehrerin fand. Jemanden, der
sich etwas besser in der Mathematik auskannte und vielleicht auch Kenntnisse
in Geographie und Astronomie aufwies.
Kapitel 1
Gemma!«
Die junge Frau mit dem langen honigblonden Haar sah auf. Ihre
Augen waren gerötet von den Tränen, die sie vergossen hatte, und sie tupfte
sich mit einem Taschentuch die Nase trocken. Viel lieber hätte sie sich ganz
und gar undamenhaft die Nase geschnäuzt, aber dafür hätte ihre Tante sicher
kein Verständnis gehabt.
Langsam erhob sie sich und versuchte
vergeblich, die grünen und braunen Flecken aus ihrem karierten Reisekleid aus
dunkler, warmer Wolle zu entfernen. Ihr Blick glitt über den Ozean, der sich
grau und wild direkt unter ihr an den Klippen brach. Wie oft hatte sie als
Kind in dem alten Baum gesessen und auf die Rückkehr ihres Vaters gewartet? Er
würde nicht mehr zurückkommen, und wenn es nach den Wünschen ihrer Tante ging,
dann würde auch sie selbst nicht wieder hierher zurückkehren.
»Gemma, so beeil dich doch ein wenig!«
Gemma warf einen letzten Blick auf den
Gedenkstein zu ihren Füßen. Sie fühlte sich, als würde sie die Gräber ihrer Eltern
hier zurücklassen, dabei waren die sterblichen Überreste ihres Vaters gar nicht
hier an der Seite seiner Frau und seiner beiden totgeborenen Kinder begraben,
sondern lagen irgendwo auf dem Grund des Meeres, das er so sehr geliebt hatte.
»Gemma!« Ihre Tante wurde ungeduldig, ihre Stimme schrill. Gemma
wandte sich ab und ging über die Wiese zurück zum Haus, vor dessen Eingang die
Reisekutsche wartete, mit der sie ihre Heimat verlassen würde. Sie würde die raue
Küste Devons gegen die sanft
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