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Gemma

Gemma

Titel: Gemma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Last
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wenn sie eine Frau ist, die die
Aufmerksamkeiten von dreißig oder mehr Kerlen am Stück willkommen heißt.« Er
sah auf die unbewegte Gestalt hinab, die sich nicht einmal bewusst war, welche
Kopfschmerzen sie ihm bereitete.
    »Seht zu, was Ihr tun könnt, okay, Mister Harron? Für den Moment
bleibt das unter uns.«
    »Klar, Mister Harper.«
    Jess verließ die Kombüse und seinen
Verbündeten in dieser Verschwörung, die er niemals beabsichtigt hatte. Wie er
diese unerwartete Entwicklung dem Captain beibringen sollte, war ihm
schleierhaft. Bryce würde die Anwesenheit dieses Mädchens auf seinem Schiff
überhaupt nicht gefallen. Jem hätte sich wirklich keinen besseren Zeitpunkt
aussuchen können als ausgerechnet jetzt, um an Bord der Dragonfly zu
kommen.
    »Und wie geht's ihm?«, fragte Bryce, als
Jess auf das Achterdeck zurückkehrte, von wo aus er zur Kombüse gestürmt war, kaum
dass Bryce ihm berichtet hatte, was vorgefallen war. Jess zuckte schuldbewusst
zusammen, bevor er die Schultern spannte und seinen Captain ansah.
    »Ziemlich gut. Er hat sich erkältet, aber unter Harrons Obhut
wird er sich bald erholen.«
    Bryce krauste die Stirn. »Er ist krank?«
    »Nichts Ernstes«, versicherte Jess ihm schnell. Nicht zu schnell,
wie er hoffte. Er wollte nichts weniger, als Bryce misstrauisch zu stimmen.
Und es war verdammt schwer, etwas vor Bryce zu verbergen. Manchmal sah Bryce
nach den Männern, wenn jemand krank wurde, noch nicht einmal so sehr, um zu
sehen, wie es ihnen ging, immerhin war er nicht ihre Mutter, sondern vielmehr
um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine ansteckende Krankheit handelte,
die den Rest der Mannschaft gefährden konnte. Für den Moment allerdings schien
er mit Jessups Beurteilung von Jems Zustand zufrieden zu sein und wandte sich
wieder dem Sextanten zu, um ihre Position zu prüfen und den Kurs zu bestimmen.
Der Wind hatte seit dem Morgen aufgefrischt und blähte nun die Segel, um das
Schiff pfeilschnell über die raue graue Oberfläche des Ozeans zu treiben.
    »Meinst du, dass ein Sturm aufzieht?«, fragte Jess und betrachtete
sinnierend die dunklen Wolken am Horizont, während sein Geist verzweifelt nach
einer Möglichkeit suchte, Bryce über das Geschlecht ihres Schiffsjungen
aufzuklären.
    »Schon möglich«, antwortete Bryce geistesabwesend, während er den
Horizont und den Stand der Sonne durch den Sextanten studierte, »aber ich
glaube es eigentlich nicht. Das Barometer ist kaum gefallen. Die See wird etwas
kabbelig sein, mehr aber auch nicht.«
    Beide schwiegen eine Weile. Schließlich nahm Bryce seine Geräte
und kehrte in seine Kajüte zurück, um die gesammelten Daten mit denen seiner
Karten zu vergleichen.
    Jessup seufzte. Er hasste es, Geheimnisse vor seinem Captain zu
haben. Besonders Geheimnisse, in die der Captain eingeweiht sein sollte. Und
ein Mädchen als Schiffsjungen an Bord zu haben, gehörte definitiv in die
Kategorie »sollte der Captain wissen«. Aber wie er es ihm beibringen sollte,
ohne dass nicht nur seiner, sondern auch Jems Kopf rollen würde, war ihm nach
wie vor ein Rätsel, auch wenn er verzweifelt nach einer Lösung suchte.
    Am frühen Abend schließlich hatte Jessup sich dazu durchgerungen,
Bryce reinen Wein einzuschenken, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Zuerst
hatte er vorgehabt zu warten, bis es Jem besser ging, aber vielleicht war es
besser, ihn – oder vielmehr sie – in einer so beklagenswerten Verfassung zu präsentieren.
Bryce würde sicher kein Mädchen bestrafen, das beinahe besinnungslos war, noch
nicht einmal bei seiner derzeitigen schlechten Laune. Einen Moment lang war
Jess überrascht, dass er Jem gegenüber keinen Ärger empfand, wenn man
bedachte, dass das Mädchen ihn an der Nase herumgeführt hatte. Wenn er
allerdings bedachte, wie verzweifelt sie ausgesehen hatte, als sie ihn in
London anflehte, sie anzuheuern, schien sie gute Gründe gehabt zu haben, ihr
Glück auf einem Schiff zu versuchen, um aus England fortzukommen. Er verzog
das Gesicht, wenn er an all die groben Witze und rauen Sprüche dachte, die an
sie gerichtet gewesen waren in der Annahme, sie sei ein Junge. Sie hatte
wirklich eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung an den Tag gelegt,
wahrscheinlich auch, weil sie die Hälfte gar nicht verstanden hatte.
    Er schüttelte den Kopf, als er die Stiege zu
Bryce' Kajüte hinabstieg. Als er klopfte und eintrat, fand er Bryce mit den Füßen
auf den Schreibtisch gestützt vor, die Finger zusammengepresst und die

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