Gemma
gewusst, Bryce. Ich hab's erst heute herausgefunden
...«
Der eiskalte Blick seines Freundes ließ ihn
verstummen, bevor Bryce seine Aufmerksamkeit wieder auf Gemma richtete.
Jess fühlte das verzweifelte Verlangen, alles zu erklären, aber er
blieb stumm, während er sich innerlich auf die Predigt einstellte, die er ohne
Zweifel von Bryce zu hören bekommen würde. Bryce so ruhig zu sehen war beinahe
schlimmer, als wenn er getobt und geschrien hätte. Dann hätte er zumindest
gezeigt, wie er zu der Sache stand, aber so zeigte er nicht die geringste
Regung. Irgendwie, befürchtete Jess, war dies die Ruhe vor einem Sturm, der
schlimmer werden würde als alles Fluchen und Brüllen jemals zuvor.
»Bryce?«, fragte er zögernd, als Bryce nur weiter das bewusstlose
Mädchen anstarrte. »Ich kann mich um sie kümmern. Du wirst nicht einmal
bemerken, dass sie ...«
Campbells Kopf fuhr so ruckartig herum, dass Harper erschreckt
einige Schritte zurückwich.
»Du wirst gar nichts tun, Jessup, hörst du. Gar nichts.« Sein
Blick zuckte zu Gemma, dann zu Jess.
»Dieses
Mädchen – ist meine Frau.«
Kapitel 9
Jessup war wie erstarrt. »Deine Frau?«, formten seine Lippen die
lautlose Frage. Seine Augen sprangen förmlich aus den Höhlen, als er erst Jem,
dann Bryce anstarrte. Falls Bryce' Augen vorher kalt gewesen waren, so
verströmten sie jetzt blankes Eis. Jess fühlte, wie er innerlich zitterte. Für
einen Augenblick benötigte er den festen Halt, den ihm der Tisch bot, und
stützte sich schwer darauf.
»Deine Frau«, flüsterte Jess tonlos. Sein Blick glitt erneut zu
Jem und zuckte dann zurück zu Bryce. »Aber wie ist das möglich ...?«
»Das frage ich mich allerdings auch.« Bryce'
Stimme klang rau, mühsam beherrscht. »Sie scheint ein Talent dafür zu haben,
an Orten aufzutauchen, an denen sie nichts verloren hat.«
Jess hatte gewusst, dass der Captain sauer sein würde, aber das
Ausmaß seiner Wut übertraf seine schlimmsten Erwartungen. Er räusperte sich.
»Soll ich sie in deine Kajüte bringen«, fragte er dann, als Bryce
keine Anstalten machte, etwas zu unternehmen. Bryce' Kopf flog herum.
»Das wirst du nicht tun«, stieß Bryce zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor und hob das Mädchen auf, das noch immer auf dem Fußboden gelegen
hatte. »Dies hier ist meine Frau und niemand fasst sie an außer mir,
verstanden?«
Falls überhaupt möglich, sah Jess noch
überraschter aus als in dem Moment, als Bryce ihn von seiner Heirat unterrichtet
hatte.
Bryce lächelte ihn kalt an, wohl wissend,
welchen Schock er Jess mit seiner Enthüllung versetzt hatte, aber er brauchte
ganz einfach jemanden, den er für Gemmas Anwesenheit an Bord der Dragonfly verantwortlich
machen konnte. Denn wenn er kein Ventil für seine ständig wachsende Wut fand,
würde er sich stark versucht sehen, Gemma das schlanke Genick zu brechen.
Gemma war noch immer bewusstlos, als Bryce
sie aufhob, um sie in seine Kajüte zu bringen. Er konnte deutlich die
Schwellung erkennen, die sich auf ihrer Stirn bildete, wo sie auf dem Boden
aufgeschlagen war. Er war überrascht, wie leicht sie war. Natürlich wusste er,
dass sie schlank war, aber er hatte nicht erwartet, dass er ihr Gewicht kaum
spüren würde, wenn er sie in den Armen hielt.
Jess öffnete ihnen die Tür und Bryce trat hinaus. In der
Zwischenzeit schien sich jeder verfügbare Mann an Deck eingefunden zu haben
unter dem abstrusesten Vorwand, dieses oder jenes zu tun zu haben. Aber alle
hielten sie in ihren diversen Tätigkeiten inne und starrten ihren Captain
voller unverhohlener Neugierde an.
»Ehefrau«, hörte Bryce das Flüstern sich wie ein Lauffeuer
ausbreiten. Irgendjemand musste ein Ohr gegen die Kombüsentür gedrückt haben,
während Jessup und er drinnen waren. Eine schmale Gasse öffnete sich, als er
auf die Menge zusteuerte. Die meisten Männer sahen aus, als würden sie vor
Neugierde sterben, aber keiner wagte es, ihn anzusprechen. Bryce' und Jess'
Schritte auf dem Deck waren das einzige Geräusch, ansonsten waren sie in
beinahe unheimliche Stille gehüllt. Sogar der Wind hatte aufgehört zu heulen,
so als würde auch er gespannt den Atem anhalten. Bryce erreichte die Treppe,
die in sein Quartier hinabführte. Er spielte noch nicht einmal mit dem
Gedanken, Gemma woanders unterzubringen. Er hatte sie einmal aus den Augen
gelassen, und sie hatte ihm und sich selbst nichts als Ärger bereitet. Nein,
dieses Mal würde er sie unter eiserner Kontrolle halten, jeden
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