Gemma
brechen, aber sie konnten auch
den Hass schüren, sich eines Tages für die Schläge zu rächen.
Gemma schüttelte sich bei dem Gedanken, Rawlins jemals hilflos
ausgeliefert zu sein. Sein massiger Körper und seine Kraft hatten ihr Angst
gemacht, als er sie an Deck gepackt hatte. Das war kein Spaß gewesen, wie die
Neckereien der anderen. Rawlins hatte es genossen, seine brutale Kraft gegen
einen körperlich Unterlegenen einzusetzen und die Macht aus zukosten. Es hatte schon häufiger Auseinandersetzungen an Bord
gegeben, in die Rawlins verwickelt gewesen war, aber bislang war er noch immer mit einer Rüge davongekommen. Warum
hatte ausgerechnet sie das Tröpfchen sein müssen, das das Fass zum Überlaufen
brachte? Würden ihr die anderen das übel nehmen? Was dachten sie überhaupt von
ihr?
Sie konnte sich nur sehr undeutlich an das erinnern, was nach dem
Zwischenfall an Deck passiert war, aber sie sehnte sich
danach, zumindest Butch alles zu erklären. Würde er ihre Beweggründe, als Mädchen an Bord eines Schiffes zu kommen,
verstehen? Sie hoffte es inständig, weil Butch in der Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, zu so etwas wie einem Freund
geworden war. Und diese Freundschaft würde sie nur äußerst ungern verlieren.
Aber auf all den Seiten, die Gemma im Logbuch gelesen hatte, hatte
sich nicht ein einziger Tintenklecks befunden.
Bryce musste sehr geübt im Umgang mit der Feder sein. Was konnte
ihn dazu veranlassen, so angestrengt zu grübeln, dass er Feder und Tinte völlig
vergaß?
Es hätte Gemma sicher erschreckt, wenn sie geahnt hätte, dass
Bryce' Gedanken noch immer um sie kreisten und welcher Art diese Gedanken waren. Bryce' Finger
schlossen sich fester um den Federkiel, der unter der Belastung beinahe brach.
Der warme Scotch in seinem Magen hatte nicht den gewünschten
Effekt, stellte Bryce fest. Falls überhaupt noch möglich, stachelte er sein Verlangen nur noch weiter an. Das
Pochen seines Blutes in der schmerzhaft erigierten Länge seiner Männlichkeit
ließ keinen anderen Gedanken mehr zu. Unruhig verlagerte Bryce sein Gewicht,
aber die leichte Reibung des Stoffes war beinahe zu viel. Bryce presste die
Augen zusammen in dem verzweifelten Versuch, seinen Körper unter Kontrolle zu
zwingen, bevor er sich zum Narren machte. Welche Macht hatte Gemma über ihn?
Wie war es möglich, dass allein ihr Anblick, wie sie unschuldig schlafend in
seiner Koje lag, ausreichte, ihn in einen geilen Bock zu verwandeln, wo die
Hände der erfahrensten Huren Londons versagt hatten?
Mit einem unterdrückten Fluch warf Bryce die
Feder ins Tintenfass, sprang auf und stürmte mit langen Schritten zur Tür.
Wenige Sekunden später vernahm Gemma die vertrauten Schritte über
sich auf dem Achterdeck. Bryce' barsche Stimme blaffte jemanden an, der es
gewagt hatte, das Wort an ihn zu richten. Gemma krauste die Stirn. Das klang
überhaupt nicht nach Bryce. Wenn er jemanden anbrüllte, dann sie.
Zögernd erhob sie sich und ging hinüber zum Schreibtisch, auf dem
das noch immer offene Logbuch lag. Die Eintragungen für den Tag waren Standard
und äußerst belanglos und unterschieden sich von denen der Tage zuvor nur
darin, dass sie mitten im Satz abrissen. Verwirrt streute Gemma die Seite ab
und schloss das Buch. Was war nur passiert, dass Bryce sogar zu abgelenkt war,
um es im Logbuch niederzuschreiben? Gemma reinigte sorgsam die Feder und
verschloss das Tintenfass, bevor sie wieder unter das Laken krabbelte. Es
dauerte lange, bis ihr die Augen zufielen, und Bryce war bis dahin nicht in die
Kajüte zurückgekehrt.
Kapitel 12
Am nächsten
Morgen, als Gemma erwachte, war Bryce bereits wieder verschwunden, nur sein
zusammengeknülltes Hemd vom Vortag neben der Tür, wo Tabby es wegräumen würde,
ließ überhaupt erkennen, dass er in der Kajüte gewesen war.
Gemma fragte sich, wann er wohl zum Schlafen
gekommen war. Sie hatte versucht, auf ihn zu warten, war aber eingeschlafen
und nicht wieder erwacht, als er seine Hängematte aufgehängt hatte. Oder hatte
er überhaupt nicht geschlafen?
Als Gemma die Beine aus der Koje schwang, trat sie beinahe gegen
den Sack mit Stoffen, der, als sei nichts gewesen, vor dem Bett stand. Tabby
trat mit dem Frühstückstablett ein, und Gemma sah ihn irritiert an.
»Tabby, hast du den Sack doch wieder hereingebracht?«, fragte sie
mit leisem Vorwurf, aber auch leichter Hoffnung in der Stimme.
»Nein, Miss Gemma, das war der Captain. Und er lässt Euch
ausrichten, dass, solltet Ihr
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