Gemma
anschmiegsamsten und zugleich
teuersten Materialien, die seine Ladung zu bieten hatte. Er hatte jeden Ballen
nicht nur nach Material, sondern auch nach Farbe ausgewählt, immer vor seinem
geistigen Auge das Bild, wie Gemma in dieser oder jener Farbe wirken würde.
Er war Tabby gefolgt, um zu sehen, wie Gemmas
Augen vor Freude glänzten, wenn sie die Farben und edlen Stoffe erblickte,
stattdessen hatte er gesehen, wie Gemma Tabby einen unschuldigen Kuss auf die
Wange gegeben hatte. Ihr Verhalten hatte nichts Unzüchtiges gehabt, das war
ihm sofort klar gewesen, lediglich die überschäumende Freude eines jungen
Mädchens über ein unerwartetes und kostbares Geschenk, aber die plötzliche Eifersucht,
die ihn wie ein Blitz durchrast hatte, hatte ihn überrascht und daher so
schroff reagieren lassen.
Und es war Eifersucht gewesen, dessen war er sich inzwischen
sicher, so sehr er sich auch den ganzen Tag lang einzureden versucht hatte,
dass es nicht so gewesen war. Er war eifersüchtig gewesen auf Tabby, seinen
alten Diener, und darauf, dass Gemma ihn so spontan umarmt und geküsst hatte,
wie sie es bei ihm noch nie getan hatte. Er hatte an ihrer Freude teilhaben
wollen, stattdessen hatte er sie zerstört.
Eine viertel Stunde nach dem Vorfall war Tabby aufs Achterdeck
geschlichen gekommen wie ein geprügelter Hund und hatte ihm mitgeteilt, dass
Gemma sich weigerte, die Sachen anzunehmen.
Noch immer glaubte Bryce, er könnte die Wut und den Schmerz verspüren,
die bei Tabbys Worten in ihm aufgewallt waren. Gemma hatte Tabby mit einem Kuss
für die Stoffe gedankt, von ihm, ihrem Ehemann, nahm sie sie jedoch nicht an.
Tabby schien zu ahnen, was in Bryce vorging, und er bemühte sich, ihm Gemmas
Beweggründe, so wie sie sie dargelegt hatte, zu erklären.
Bryce hatte darüber nachgedacht. Es schien
Gemma in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Bislang hatte er geglaubt,
sie wäre auf Reichtümer aus, egal wie, aber anscheinend hatte sie doch Skrupel
und einen gewissen Stolz, der es ihr verbot, ihn erst zu beleidigen und sich
dann von ihm beschenken zu lassen. Bryce lächelte bei dem Gedanken. Vielleicht
unterstellte er ihr diesmal aber auch zu lautere Motive, und der eigentliche
Grund für ihr Zögern war, dass sie ein kaltes und berechnendes Luder war und
ihn zappeln lassen wollte.
Er hatte Tabby angewiesen, den Sack Stoffe wieder in den Lagerraum
zu bringen. Er hatte sie ausgewählt und Gemma würde sie tragen, dafür würde er
schon sorgen.
Gemma lauschte auf das leise Kratzen der Feder, wie sie über das Papier
des Logbuches glitt. Für gewöhnlich war der Schreibfluss schnell und
gleichmäßig, nicht so heute. Nach anfänglichem Gleichfluss war das Kratzen
zunächst unterbrochen worden, um dann vollends zu verstummen. Sie riskierte
es, einen verstohlenen Blick auf Bryce zu werfen. Er saß am Schreibtisch, die
Feder vergessen über dem Papier schwebend. Darunter hatte sich bereits ein
Tintenklecks gebildet.
Gemma, die in den vergangenen Tagen die Kajüte
durchstöbert hatte, hatte unter anderem im Logbuch gelesen. Sie war einfach zu
neugierig gewesen, was Bryce in Bezug auf den Schiffsjungen, der eigentlich ein
Mädchen war, vermerkt hatte.
Bryce hatte den Fall kurz und nüchtern
erwähnt, als wäre es etwas, womit er jeden Tag zu tun hatte. »Schiffsjunge Jem
in Wirklichkeit das Mädchen Gemma. Wird von der Mannschaft getrennt gehalten.
Rawlins, der das Kind angegriffen hatte, bekam fünfzig Hiebe. Wurde ärztlich
versorgt, ist im Loch.«
Von der Mannschaft getrennt gehalten. Das klang wie bei einem
Tier, fand Gemma. War sie das für Bryce? Ein Tier, ein Besitz, mit dem man nach
Belieben verfahren konnte und das keine eigenen Gefühle hatte? Zumindest schien
er sie im Moment so zu behandeln.
Sie bedauerte, dass Rawlins ihretwegen fünfzig Hiebe bekommen
hatte. Auch wenn sie damals noch jung gewesen war und ihr Vater derartige
Episoden seines Arbeitsalltages nur in sehr abgeschwächter Form mitgeteilt
hatte, nachdem sie ihn stundenlang bekniet hatte, ihr etwas über das Leben an
Bord zu erzählen, so erinnerte sie sich doch an die Trauer in seiner Stimme,
wenn es nötig gewesen war, ein Mitglied der Mannschaft zu züchtigen. Hiebe
waren gang und gäbe, um die Moral und den Respekt an Bord zu gewährleisten,
und auf vielen Schiffen waren sie sogar an der Tagesordnung, aber ihr Vater
hatte solche Vorfälle stets sehr bedauert. Schläge konnten einen Mann gefügig
machen, konnten sogar den Willen eines Mannes
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