Gemma
Ihr?«, fragte Tabby entsetzt, als Gemma
entschlossen ein Teil nach dem anderen wieder in dem Sack versenkte.
Nachdem auch das letzte Teil verpackt war, schnürte Gemma den
Sack zu und sah Tabby an.
»Tabby, ich möchte dich bitten, Bryce in
meinem Namen für seine Großzügigkeit zu danken, aber ich kann ein so kostbares
Geschenk nicht annehmen.« Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf den
Leinensack, der Stoffe enthielt, kostbarer, als sie je in ihrem Leben gesehen,
geschweige denn besessen hatte. Aber es konnte nicht sein.
»Nicht nach dem, was eben zwischen uns vorgefallen ist«, fügte sie
dann erklärend hinzu. Und vielleicht auch schon vorher nicht, dachte sie im
Stillen.
»Aber, Miss Gemma, das ist doch ein Geschenk«, beklagte sich Tabby
beinahe weinerlich. »Das kann ich doch dem Captain nicht zurückbringen. Er
würde niemals ein Geschenk zurückfordern«, setzte er hinzu, als hätte er
Gemmas Gedanken richtig gedeutet. Er rang seine vom Alter knotigen Hände.
»Er braucht es nicht zurückzufordern, Tabby. Ich gebe es ihm
freiwillig. Ich kann es einfach nicht annehmen. Nicht nach dem, dessen ich ihn
eben beschuldigt habe. Bitte, Tabby, sag es ihm«, flehte Gemma. Musste er es
ihr noch schwerer machen, auf diese Kostbarkeiten zu verzichten? Sie hatte noch
niemals etwas so Schönes besessen, und mit jedem Augenblick, der verstrich,
wurde ihr das Herz schwerer, wenn sie an die wundervollen Farben und herrlichen
Stoffe dachte. Sie wollte gar nicht erst an sie als ihr Eigentum denken.
»Bitte, Tabby ...«, wisperte sie mit
tränenerstickter Stimme.
»Der Captain wird wütend sein, Miss Gemma«, versuchte Tabby es ein
letztes Mal. »Er ist es nicht gewohnt, dass seine Geschenke zurückgewiesen
werden. In den Kolonien gibt es sogar Stämme, da wird man als Feind angesehen
und getötet, wenn man ein Geschenk zurückweist, und damit den, der es gegeben
hat, beleidigt.«
Gemma lächelte gequält. »Ich glaube nicht, dass Bryce so weit
gehen wird. Er wird es sicher verstehen, und ich würde mich schuldig fühlen,
diese Stoffe zu tragen, nach dem, was ich eben alles gesagt habe.«
Sie fragte sich sowieso, warum Bryce ihr
derartige Kostbarkeiten zum Geschenk gemacht hatte. Nur um die Lage zu entspannen?
Das konnte sie kaum glauben. Sie war es, die darunter litt, dass sie in der
Kajüte eingesperrt war und dass Bryce sie mit Nichtachtung strafte. Warum also
der plötzliche Sinneswandel? Oder sollte es etwa bedeuten, dass sie Bryce doch
nicht ganz gleichgültig war? Konnte es sein, dass er sie doch ein klein wenig
gern hatte? Dass er sie glücklich sehen wollte?
Nein, widersprach Gemma sich selbst und unterdrückte gedanklich
dieses zarte Pflänzchen der Hoffnung. Sie musste es schon im Keim ersticken,
bevor es weiter wuchs und ihr schließlich das Herz zerreißen würde, sollte
Bryce es bei ihrer nächsten Begegnung mit seinen Worten unter seinem Stiefelabsatz
zermalmen.
Kapitel 11
Obwohl Gemma ihn früher erwartet hatte, kam Bryce wie gewohnt erst bei
Einbruch der Dunkelheit zurück in seine Kajüte. Sie war eingenickt, aber das
Geräusch der sich schließenden Tür riss sie aus ihrem unruhigen Schlummer.
Nachdem Tabby mit den Stoffen verschwunden war,
hatte sie sich mit einem Buch ins Bett zurückgezogen, aber die Lektüre, die
sie sonst immer von ihren Sorgen ablenken konnte, hatte sie nicht zu fesseln
vermocht. Immer wieder spielte sie in Gedanken die letzte Begegnung zwischen
sich und Bryce durch, und immer wieder wünschte sie sich, im Erdboden – oder im
Schiffsrumpf – versinken zu können. Und je länger es dauerte, bis sie Bryce
wieder unter die Augen treten musste, desto nervöser wurde sie.
Was sollte sie sagen? Würde er überhaupt mit
ihr sprechen? Nach Tabbys Ankündigung, der Captain würde wütend sein, hatte sie
sich seelisch gewappnet in der Annahme, Bryce würde jeden Augenblick wie ein
wilder Stier in die Kajüte gestürmt kommen, fordernd, dass sie sein Geschenk
akzeptierte, aber er war nicht gekommen. Stattdessen hatte sie seinen
Schritten auf dem Achterdeck gelauscht, die sie inzwischen von Jess' und
Daniels', dem Steuermann, unterscheiden konnte. Hin und wieder tauchten auch
andere Schritte auf, aber Bryce' konnte sie aus allen heraushören. Ihr Herz
schlug schneller, wenn sie seine tiefe Stimme durch das Holz des Achterdecks
vernahm, wie er mit Jess sprach oder Befehle erteilte. Nur sehr selten konnte
sie einzelne Worte ausmachen, weil Bryce die Stimme nur sehr selten
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