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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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keinem aufgefallen.«
    Was hatte sie gleich darauf geantwortet? Ach, Schwamm drüber. Unbehaglich rutschte er tiefer in den Autositz.
    Auch seine Tante war gestern kein Trost gewesen. »Viktor? Viktor, sind diese schrecklichen Menschen noch da?«, hatte sie ihn überfallen. »Sie haben Tobias sicher völlig aus der Bahn geworfen.«
    »Keine Sorge, Tante.« Sein Cousin hatte auf alle Fragen der Beamten stur geantwortet: Die Uhr sei im Wolf sei nicht nett. »Das beruht ganz bestimmt auf Gegenseitigkeit.«
    Er hatte mehr erzählen wollen, aber seine Tante löste ihren Blick kaum von Tobias, der in einer Ecke hockte und versuchte, einen Topflappen in kleine Stücke zu zerkauen. Viktor hatte eine Kanne Kaffee entdeckt, sich bedient und geseufzt. In was für einem Irrenhaus war er hier bloß gelandet? In so einer Umgebung konnte man ja keine Frau beeindrucken.
    »Er hat an Beweismaterial geleckt.« Der Satz war ausgesprochen, ehe er darüber nachgedacht hatte.
    Daraufhin hatte seine Tante ihn angefahren: »Er erspürt die Dinge mit dem Mund. Als Kleinkinder tun wir das alle. Er hat nichts falsch gemacht.« Viktor war ganz erschrocken gewesen, wie böse sie aussehen konnte.
    Im Sonnenlicht des heutigen Tages betrachtet, musste er zugeben, dass es nicht ganz fair gewesen war, Tobias die Schuld zuzuschieben. Er rutschte noch ein wenig tiefer.
    »Ärgerlich ist das, sehr, sehr ärgerlich.« Onkel Wolfgangs missmutige Feststellung riss Viktor aus seinen Gedanken. »Die Leiche wird auf unbekannte Zeit beschlagnahmt bleiben. Sehr unangenehm.« Er griff nach der Colaflasche. »Und die Presse hat sich darauf gestürzt. Hast du den Artikel noch?«
    Viktor schüttelte den Kopf. »Erzähl ihnen ruhig, dass wir die Arbeit getan haben, die eigentlich Polizei und Gerichtsmedizin hätten erledigen sollen.«
    Die Stimme seines Onkels wurde eisig. »Das werde ich nicht tun. Und zwar aus dem Grund, dass die Gerichtsmedizin dann ihrerseits nicht erzählen wird, dass sich erhebliche postmortale Verletzungen an der Leiche befinden. Und wisch dir die Krümel gefälligst draußen ab.«
    Viktor zuckte mit den Schultern, öffnete dann aber die Tür und fegte die letzten Spuren des Gebäcks auf den Asphalt. »Ich überlege übrigens, heute bei den Bulhaupts vorbeizugehen. Wegen der Details für die Rede.«
    »Erst liefern wir den hier ab, und dann kommt die Kleinleitner-Beerdigung«, antwortete sein Onkel bestimmt. »Außerdem muss die kleine Emily noch aufbereitet werden. Wenn du so scharf auf Hinterbliebene bist, dann besprich doch mit ihren Eltern, welche Kleider sie tragen soll.«
    Viktor wurde wütend. »Du hast ihn ohne ordentlichen Totenschein mitgenommen, nicht ich.«
    »Mit dem Totenschein war alles in Ordnung, hörst du?«
    Lange schaute Viktor in das gerötete Gesicht seines Onkels, der das Steuer umklammert hielt und stur geradeaus starrte. Unvermittelt fragte er dann: »Was stand eigentlich auf Hannahs Totenschein?«
    Sein Onkel bewegte die Lippen, aber es kam kein Ton heraus. Erst nach einer Weile glaubte Viktor zu verstehen: »Unverschämtheit.«
    »An Unverschämtheit stirbt man nicht«, sagte er.
    Aber es kam keine Antwort. Sie schwiegen beide. Dann schlug Viktor die Wagentür wieder zu.

9
    Den Rest des Tages sprachen sie nicht mehr viel. Während der gesamten Zeremonie starrte Viktor seinen Onkel an, der, zwischen zwei Buchsbäumen stehend, die sie für die Aussegnung mühevoll aus der Aufbereitungshalle geschleppt hatten, Plattitüden über Tod und Erinnerung von sich gab. Sollten die Buchsbäume ein Bewusstsein haben, wie Miriam vom Teeladen glaubte, und all das hier mitbekommen, Tag für Tag, dann waren sie wirklich zu bedauern.
    Der Sarg war vor der Friedhofshalle aufgebahrt. Links vom Kopf des Redners blickte man auf eine Tür mit der Aufschrift »Damen«, rechts davon war der Schriftzug »Herren« unübersehbar. Viktor überlegte, wie die Hinterbliebenen es wohl schafften, so standhaft darüber hinwegzusehen, und ob es möglicherweise das Einzige war, was ihnen später von dieser Beerdigung in Erinnerung bleiben würde.
    »So lasst uns also innehalten für einen Moment des Gedenkens«, hörte er seinen Onkel sagen. Wie alle anderen senkte Viktor den Kopf; innerlich wartete er auf die Toilettenspülung. Miese Beerdigung, dachte er, mieser Text. Wie war das eigentlich bei Hannah gewesen? Hatte sein Vater den Mut gehabt, das Amt des Redners zu übernehmen? Oder war Onkel Wolfgang eingesprungen, mit seiner alles

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