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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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überwältigenden, jede Bedeutsamkeit plättenden Professionalität? Viktor konnte ihn förmlich hören: In tiefer Trauer, jung und unerwartet, stehen wir vor den letzten Fragen, neigen uns in Demut. Wut schnürte ihm die Kehle zu.
    Die nächsten Reden würde er selbst halten. Für seine Toten. Zuallererst für den mit der Kugel im Rücken. Und was das für eine Rede werden würde, purer Rock ’n’ Roll. Später dann für Hannah, im kleinen Kreis, nur er und sie. Und wenn alles gut lief, würde er am Ende nicht nur ihre Leben zusammengefasst haben, sondern auch allen verkünden können, wer es ihnen geraubt hatte. Rainer Bulhaupt. Und Hannah.
    »Viktor«, zischte sein Onkel, der inzwischen fertig war und ihn beiseitenahm. »Träum nicht. Hast du alles?«
    Viktor hob Schaufel und Weihwasserbehälter, um zu zeigen, dass er nichts vergessen hatte. »Reihe drei, Grab fünf«, kommandierte der Onkel. »Und schau zu, dass der Erdhaufen ordentlich abgedeckt ist, ja?« Man sagte zwar ›Erde zu Erde‹, das war so schön poetisch, aber der Anblick von Würmern, Ameisen und dem Versprechen kommender Verwesung war den Menschen nicht zumutbar.
    Ohne ein Wort trabte Viktor davon. Er fand das versprochene Grab, einen tiefen, gnädig von Brettern verdeckten Schacht, die einem den Blick in die Grube ersparten, daneben ein unregelmäßiger Erdklumpen unter Kunstrasen. In der Nähe stand ein älterer Mann und rauchte. Interessiert schaute er zu, wie Viktor seine Gerätschaften aufbaute. »Sind Sie neu im Geschäft?«, fragte der Mann, als Viktor zum dritten Mal der Weihwasserspender herunterfiel.
    Viktor nahm die ihm entgegengestreckte Hand. »Anders«, sagte er knapp.
    Sein neuer Bekannter nickte wissend. »Der Neffe, aha. Tja, früher oder später kommen sie alle zurück in den Schoß der Familie.« Er nahm einen tiefen Zug. »Mein Jüngster fängt auch bald bei mir im Betrieb an. Jetzt wo sie ihn entlassen haben.« Er sah ein wenig ungepflegt aus, ein Hauch von Alkohol war alles, was fehlte, um den vernachlässigten Eindruck, den er machte, abzurunden. »Meißner«, stellte er sich vor. »Ich mach das schon seit zwanzig Jahren.« Er winkte Viktor ein wenig beiseite. »Sagen Sie mal, der Wagen, den Sie draußen stehen haben, ist das einer aus der neuen Reihe von Vaarmann? Die sollen ja jetzt in Schweden gefertigt werden. Wie sind Sie denn mit der Lackierung zufrieden?«
    »Die Lackierung? Tja, ich … äh …«
    »Wohl noch nicht lange dabei, was?« Meißner malte mit der Zigarette einen Rauchkringel in die Luft. Er kicherte.
    »Den zweiten Tag«, bekannte Viktor. Er betrachtete den Trauerzug, der sich nun der Grabstätte langsam näherte. »Ist alles noch ein bisschen neu.«
    Sein Gegenüber nickte. »Ging uns allen so, das wird schon.« Er warf seinen Zigarettenstummel zwischen die Stiefmütterchen auf einem Grab und zündete sich eine neue an. Langsam wurde er Viktor sympathisch.
    Einträchtig beobachteten sie Wolfgang Anders’ Show am offenen Grab. Seine Stimme klang dünn durch die kalte Luft hinüber. Auf dem Nachbargrab hüllte sich ein Porzellanengelchen in seine Flügel, Narzissen verwelkten, ausgebleichte Bänder flatterten im Märzwind.
    Nach einer Weile fragte er Meißner: »Gucken die vom Standesamt eigentlich immer in die Särge?«
    »Ja, allerdings.« Meißner nickte.
    »Ist das so üblich?«
    Meißner paffte. »Ist es tatsächlich. Allerdings weiß ich nicht, wozu es gut sein soll. Schließlich haben sie nichts als eine Unterschrift, um sein Gesicht damit zu vergleichen. Aber es beruhigt immerhin das Gewissen.« Er neigte sich zu ihm. »Ist auch hier so, weil einer von uns mal eine falsche Leiche durchgeschmuggelt hat. Hatte sie selber abgemurkst und mithilfe der Papiere einer anderen dann verbrannt.«
    Viktors Augen wurden groß. »So was gibt es?«, fragte er.
    Meißner lachte heiser und hustend. »Gibt es alles«, sagte er. »Auf dieser Welt gibt es absolut alles.«
    Das hatte etwas für sich, musste Viktor zugeben. »Aber warum«, fragte er, »sollte ein Beerdigungsunternehmer jemanden umbringen wollen?«
    »Was sollte ein Beerdigungsunternehmer?«, erkundigte sich Onkel Wolfgang, trat näher und schnorrte von Meißner umstandslos eine Zigarette.
    »Wir sprachen gerade über Autolackierungen«, sagte Viktor. »Ich geh und räum den Wagen auf.« Im Weggehen glaubte er, Meißner noch immer lachen zu hören.

10
    Viktor klingelte an der Tür der Bulhaupts. Er hatte beschlossen, die Anweisungen seines Onkels zu

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