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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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ignorieren und, statt bei Emilys Eltern die Kleider für ihre Beisetzung abzuholen, der Familie des verstorbenen Rainer Bulhaupt einen überraschenden Besuch abzustatten. Eine junge Frau öffnete die Tür, und nachdem er erklärte hatte, dass er vom Beerdigungsinstitut kam, stellte sie sich ihm vor: »Dorota Szymborska, aber besser einfach Dorota«. Viktor entnahm ihren Erklärungen, dass Frau Bulhaupt nicht da war. Er antwortete ihr in unbeholfenem Polnisch.
    Sofort strahlte sie. »Sie sprechen Polnisch, wo haben Sie gelernt?«
    Viktor winkte ab. »Das ist eine lange Geschichte. Hauptsächlich in einer polnischen Autoreparaturwerkstatt in New Jersey.«
    Sie hob verwundert die Augenbrauen und lächelte ein wenig unsicher, ließ ihn aber eintreten. »Der Assistent von Professors ist da«, erklärte sie. »In Arbeitszimmer. Er …«, sie suchte nach dem deutschen Wort, »… macht Ordnung.«
    Oder verwischt die Spuren, dachte Viktor. Laut fragte er: »Ist der öfter hier?«
    »Immer Mittwoch«, erklärte die junge Frau. »Wenn ist Privatseminar.« Bei diesen Worten öffnete sie die Tür zu Bulhaupts Arbeitszimmer und bat ihn, kurz zu warten.
    Viktor musste blinzeln, so lichtdurchflutet war das Zimmer. Es wies mit seiner gesamten Front nach Süden, Glas vom Boden bis zur Decke, und fing noch das letzte bisschen der klammen Märzsonne ein. An den verbliebenen Wänden sorgte indirekte Beleuchtung in diversen, mit Stoff ausgeschlagenen Nischen, in denen Viktor, als er näher trat, japanische Kunstgegenstände erkannte, für dezentes Licht. Er war kein Fachmann, aber der bemalte Fächer sah alt aus, ebenso die drei kleinen geschnitzten Figuren, sogenannte Netsukes, und das Service war definitiv Meji-Zeit. Er konnte nicht anders, als anerkennend zu pfeifen.
    »Sie können hier später abstauben, Dorota.« Der Mann, der das sagte, war nicht mehr jung, obwohl er sich so kleidete und gab. Sein schmaler Schädel war rasiert bis auf die blonden Stoppeln, um zu kaschieren, wie wenig von seinen Haaren übrig war. Das Gesicht verschwand hinter einer strengen Brille mit schwarzem Rahmen, die seine Augen unter der hohen Stirn stark vergrößerte. Er trug Jeans, ein weißes Baumwollhemd und ein Tweedsacko mit Lederflecken auf den Ärmeln. Fehlt nur noch die Pfeife, dachte Viktor. Im selben Moment zog der andere eine aus seiner Jackettasche und schob sie sich, kalt wie sie war, zwischen die Lippen.
    »Sie kommen wegen des Nachrufs?«, fragte er. »Von der Tagespresse oder von einer Fachzeitschrift?«
    »Eigentlich«, begann Viktor und räusperte sich, »komme ich vom Beerdigungsinstitut. Anders und Anders«, stellte er sich nach kurzem Überlegen förmlich vor und kramte nach einer der Visitenkarten. »Und streng genommen geht es um eine Trauerrede, keinen Nachruf.«
    »Da habe ich Dorota wohl gerade falsch verstanden«, meinte der Mann, der sich seinerseits als Jürgen Weißgerber vorstellte. »Ihr Deutsch ist manchmal …« Er ließ den Satz unvollendet. Stattdessen murmelte er ein derbes japanisches Schimpfwort, während er sich wieder den Stapeln auf dem verwaisten Schreibtisch zuwandte. »Sie entschuldigen, aber der Professor hat viel Arbeit hinterlassen. Sie wenden sich besser an die Witwe.«
    »Domo arigato«, erwiderte Viktor. »Kimochi warui.«
    Der Assistent nahm die kalte Pfeife aus dem Mund. »Wie bitte?«
    »Kimochi warui, in der Bedeutung etwa: eklig sein. Ich meine, das wäre als Schimpfwort für eine Frau angemessener«, meinte Viktor unschuldig. »Und, unter uns, es ist auch ein bisschen moderner. Uzai ginge auch, das wäre globaler. Heißt zwar eigentlich nur stören, ist aber trotzdem heftig. Dafür sind schon Leute ermordet worden. Kono baitame, wie Sie meinten, heißt zwar Schlampe, aber na ja, vor hundert Jahren mal. Das ist schon beinahe old fashioned, verstehen Sie?«
    Jürgen Weißgerber blinzelte. »Sie sprechen japanisch?«
    Viktor trat an den Schreibtisch und ließ seinen Blick über die verstreuten Papiere gleiten. »Ich hab mal in einer Karaokebar in San Francisco gearbeitet«, meinte Viktor. »Dort verkehrten fast nur japanische Touristen. Und im ersten Stock gab es ein paar Zimmer, wenn Sie verstehen, was ich meine. Da bekam man einiges an Vokabular mit.« Er grinste Weißgerber an. »Erweitert das Weltbild, wissen Sie. Die stecken nicht bloß Blumen und kochen Tee.«
    »Wollen Sie mir jetzt auch noch mit der Geschichte von den Automaten mit den gebrauchten Schulmädchenslips kommen?«
    »Ach, hat der

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