Gemordet wird immer
Professor sich mit diesem Aspekt beschäftigt?« Viktor imitierte einen interessierten Augenaufschlag.
»Ich spreche von den beschränkten Interessen mancher Leute«, sagte Weißgerber würdevoll. »Im Übrigen war Herr Doktor Bulhaupt nicht direkt ein Professor. Ich muss mich da korrigieren, damit Sie nicht etwa … Er war Privatgelehrter.«
»Klingt irgendwie gemütlich«, meinte Viktor.
Weißgerber warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Er war der führende Experte für japanische Sprache und Kultur in Süddeutschland.«
»Das ist doch schon mal was«, gab Viktor zu und zückte ein Notizbuch. »Ich darf das so zitieren, ja?« Er schaute auf und machte eine einladende Geste mit dem Stift. »Oder wollen wir Mitteldeutschland dazunehmen? Ist ja für einen guten Zweck.«
Jürgen Weißgerber lächelte säuerlich.
»Und mittwochs wurde hier also Seminar gehalten?«, erkundigte Viktor sich weiter.
»Für alle, die über die akademischen Topfränder hinausblicken wollten, ja.«
»Und?«, fragte Viktor. »Wie ging es da so zu? Alles friedlich, oder gab es Meinungsverschiedenheiten?«
»Sie stellen wahrhaftig seltsame Fragen.«
»Sonst weiß einer wie ich ja nicht, wie er sich den Alltag des Professors vorzustellen hat«, entgegnete Viktor. »Und den möchte ich in meiner Rede ja darstellen.«
Weißgerber sah ihn zweifelnd an. »Es ging denkbar harmonisch zu. Herr Doktor Bulhaupt hielt einen Konversationskurs und ließ uns dabei an seinen reichen Erfahrungen mit den japanischen Sitten und Gebräuchen teilhaben. Anschließend haben wir dann gedichtet.«
»Also er erzählte, und Sie hörten zu«, notierte Viktor. »Und dann wurde gedichtet.« Er räusperte sich.
Argwöhnisch schaute Weißgerber ihn an. »Wir dichteten«, bestätigte er in scharfem Ton, »Haikus, falls Ihnen das was sagt. Der Professor gab Kommentare, Tipps und Hilfen.«
»Und dabei kam es nie zu Unstimmigkeiten?«, hakte Viktor noch einmal nach und hob fragend die Augenbrauen.
»Sie scheinen seltsamerweise irgendwie davon auszugehen, dass wir hier alle aufeinander losgegangen sind.« Weißgerber verschränkte die Arme vor der Brust.
»Na, irgendwer muss ihn doch in den Rücken geschossen haben.« Viktor schaute von seinen Notizen auf. Volltreffer! Weißgerbers Gesicht war den Einsatz wert, fand er. »Ach, das wussten Sie noch gar nicht? War denn die Polizei noch nicht hier?«
Der Assistent brachte es nur zu einem Kopfschütteln. »Ich weiß nicht, ich meine, man hat mir nicht … Ich bin ja eben erst …« Er verstummte.
»Das tut mir aber leid«, stellte Viktor fröhlich fest. Im Stillen gratulierte er sich zu seiner Überrumpelungstaktik. »Vielleicht geben Sie mir einfach eine Teilnehmerliste des Kurses, dann kann ich mich mit den Leuten selbst unterhalten, Eindrücke sammeln, ein paar nette letzte Worte abstauben, Sie wissen schon.«
»Ja, sicher, ich …« Weißgerber blätterte in einem Ordner und zog ein Blatt heraus. »Ich kopiere Ihnen das«, meinte er und ging zum Drucker hinüber, der auf Knopfdruck kaum vernehmlich zu surren begann. »Erschossen«, murmelte er. »Also ich, also ich …«
»Für Sie war er also nicht der Typ, der Feinde hatte?«, hakte Viktor nach.
Weißgerber starrte ihn an. »Na ja, er konnte schon ein wenig arrogant wirken, ich meine, wenn er jemanden ablehnte, dann kritisierte er manchmal schon recht … also da fand dann kein Vers mehr Gnade, ich meine …« Erschrocken schaute er Viktor an. Dann sammelte er sich wieder. »Aber mich hat er in die Studienstiftung gebracht, ich kann mich wirklich nicht über ihn beklagen.«
Viktor blinzelte ihm verschwörerisch zu. »Er hört’s ja nicht mehr.« Sanft nahm er dem verdatterten Weißgerber das kopierte Blatt aus der Hand. »Studienstiftung, das heißt, Sie kriegen Geld?«
»Einen Studienaufenthalt. Nächsten Monat fliege ich rüber.«
»Tja«, meinte Viktor und klappte sein Buch zu. »Dann wären Sie erst mal weg, was?«
Es klingelte an der Haustür. Man hörte das Klappern von Dorotas Pantoffeln, dann Stimmen, die Viktor bekannt vorkamen. »Die Polizei, dein Freund und Helfer. Keine Sorge«, fügte er dann mit einem Blick auf den noch blasser werdenden Weißgerber hinzu. »Die werden Ihnen schon keine Steine in den Weg legen.« Er trat näher an den Mann heran. »Aber ein guter Rat: Provozieren Sie sie nicht. Sie ist wirklich vollkommen humorlos.«
»Was?«, fragte Weißgerber. »Wen?« Aber da war Viktor schon an die Terrassentür getreten. »Geht
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