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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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hinein.«
    »Was ist mit Olaf?«, fragte ich leise. Ich hoffte auf die Antwort, die ich mir für meinen Bruder wünschte. Sie enttäuschte mich nicht.
    »Olaf?« Sie schloss die Augen für einen Moment, lächelte und flüsterte so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte: »Olaf ist ein Teil meines neuen Lebens. Ihn lasse ich nicht weg!«
    »Das ist gut, Michelle.«
    »Ja.«
    »Rai! Rai!«
    Ich schreckte zusammen und sprang hoch. Sofort biss sich eine Flamme an meinen Beinen fest und zwang mich in den Sessel zurück, den die Schwester mir in den schmalen Raum gestellt hatte.
    »Rai! Fehrga! Ina!« Hermann saß aufrecht zwischen den weißen Laken und starrte mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. Der Infusionsständer hing wie ein Galgen über ihm.
    Ich hangelte nach dem Rollstuhl, zog ihn zu mir und hievte mich hinein. Nach zwei Stößen an den Rädern war ich bei ihm.
    »Pap, ich bin hier.« Ich berührte seine Hand.
    »Gaubein, Rai, nicht!« Er umklammerte meine Finger. Sein Blick war klar. Er fixierte mich. Über seiner Nasenwurzel hatten sich steile Kerben gebildet, und die rechte Augenbraue zuckte. Ausdruck höchster Anspannung, wie ich sie sonst nur bei wenigen Gelegenheiten im Gesicht meines Vaters hatte sehen können. Am Todestag meiner Mutter zum ersten und am Morgen meiner Staatsprüfung zum bisher letzten Mal. Und jetzt wieder.
    »Ganz ruhig, Hermann.«
    »Was ist?« Die Intensivschwester kam in den Raum, kontrollierte die Lampen, Schläuche und Dioden, die über Hermanns Leben wachten, mit schnellem Blick. »Ich rufe den Doktor.«
    »Er will mir etwas sagen, aber …«, setzte ich an, fand aber kein Gehör.
    »Herr Stein!« Sie stand jetzt neben Hermann und lächelte ihn an. »Der Doktor kommt gleich und schaut nach Ihnen. Beruhigen Sie sich erst einmal.« Sie drückte ihn sanft auf sein Kissen zurück.
    Hermann schüttelte den Kopf, wurde bleich und schloss die Augen. Seine Hände suchten nach meiner Hand, und als sie sie fanden, krallte er sich daran fest. Er holte tief Luft, hob die Lider und versuchte wieder zu sprechen.
    »Ina. Olaf. Rai!«
    »Was meinst du, Pap?«, fragte ich ihn, um eine ruhige Stimmlage bemüht.
    »Er versteht Sie nicht, Frau Weinz. In seinem Kopf sind die Gedanken klar, aber er kann sie nicht in Worte fassen. Die Worte fehlen ihm einfach.«
    »Und wenn ich es aufschreibe? Kann er etwas aufschreiben?«
    Die Krankenschwester schüttelte den Kopf.
    »Später vielleicht, zu diesem Zeitpunkt wird ihn das sicher nur noch mehr frustrieren.«
    »Gut, Sie sind wach geworden, Herr Stein.« Thomas Breidenbach kam hinter mir in den Raum und begutachtete die Anzeigen der Geräte. »Können Sie mich verstehen?«
    Hermann schwieg, blinzelte und schloss die Augen.
    »Beruhigen Sie sich. Sie haben eine leichte Aphasie – eine Sprachstörung. Das ist normal nach einer schweren Schädelverletzung wie der Ihren. Bitte legen Sie sich hin und versuchen Sie, ruhig zu bleiben. Morgen früh sehen wir weiter.« Thomas gab der Schwester einige Anweisungen, trat dann hinter meinen Rollstuhl und packte die Griffe.
    »Er begreift auf jeden Fall den Ton des Gesprochenen, auch wenn er den Sinn nicht erkennt. Es ist so, als ob ich mit dir Chinesisch reden würde. Du weißt nicht, was ich sage, aber du merkst, ob ich böse bin oder es gut mit dir meine.« Er schob mich von Hermanns Bett fort, drehte sich dann mit Schwung um und gab der Tür einen Stoß.
    »Und mit dir meine ich es sehr gut, Ina. Deswegen werde ich dich jetzt höchstpersönlich in dein Zimmer bringen. Du brauchst Ruhe. Dein Vater auch. Morgen früh werden wir die notwendigen Untersuchungen durchführen.«
    Ich hob die Hand und winkte Hermann zaghaft zu. Er ließ mich nicht aus den Augen.
    »Ina, Ria!«
    Morgen. Morgen würde es hoffentlich besser gehen. Morgen würde ich verstehen, was er mir zu sagen versuchte.
    »Du bist schrecklich, Ina!« Die Tür meines Krankenzimmers öffnete sich, und ein Aktenberg schwebte herein. »Kannst es nicht lassen, was? Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, was du mir damit antust?« Matthias drückte mit dem Fuß die Tür zu, balancierte seine Last bis zu meinem Bett und schob die Akten auf den Nachttisch.
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Matthias!«
    »Papperlapapp!« Er drehte sich suchend im Raum, entdeckte einen Stuhl und zog ihn ans Bett. Mit einem Seufzer ließ er sich nieder. »Es hat mich viel Zeit, Energie und Benzin gekostet, dich hier ausfindig zu machen.«
    »Jetzt bist du ja da!«

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