Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
ähnlich.«
    Steffen rührte sich nicht und schwieg.
    »Er hat mich gerettet. Wenn er nicht gewesen wäre, läge ich jetzt nicht hier im Krankenhaus, sondern auf Melaten.« Ich seufzte. »Er fühlt sich für mich verantwortlich.«
    Steffen wandte den Kopf und blickte aus dem Fenster. Dann nickte er.
    »In Ordnung.« Er stieß sich ab, kam zu mir und beugte sich zu mir herunter. Für eine Sekunde verharrte er regungslos.
    Ich spürte seinen Atem auf meinen Wangen. Ich tauchte ein in die Tiefe seiner Augen und sah mich selbst, wie er mich sehen musste. Eine Endvierzigerin mit wirren Haaren und nicht nur Lachfältchen im Gesicht. Eine Frau mit verkorkster Seele und einem Päckchen aus der Vergangenheit, das sie nicht nur seit Längerem mit sich herumtrug, sondern bei dem sie auch gerade erst angefangen hatte, es auszupacken.
    Dann küsste er mich. Er tat es ruhig und mit Bedacht. Und lange.
    »In Ordnung«, sagte er noch einmal, als er sich von mir löste, zur Tür und aus dem Zimmer ging, ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen.
    * **
    Das grelle Licht der Badezimmerlampe tauchte den Raum in kaltes Weiß. Die Neonröhre flackerte und ließ die Schatten über ihr Gesicht und ihren Körper tanzen. Sie kauerte im Winkel zwischen Badewanne und Dusche. Die harte Kälte der Kacheln gab ihr Halt. Benutzte Luft legte sich über ihre Lungen. Fäkalien, Raumspray, Duschgel. Die nassen Haare klebten an ihren Wangen, und feine, dünne Rinnsale suchten sich ihren Weg über nackte Haut. Mit geschlossenen Augen wiegte sie ihren Oberkörper vor und zurück. Sie fühlte sich nicht eins. So als ob einzelne Teile ihres Selbst sich verrückt hätten, nicht mehr ineinandergreifen würden.
    Mirko war gegangen. Endgültig. Mirko mit seinen schönen Augen. Mirko mit der sanften Stimme, die wie Hände streicheln konnte. Mirko, dessen Liebe hätte unendlich sein sollen. Der ihre Leere hätte füllen können. Er hatte es versprochen.
    Sie stand auf. Die Pein des Verlustes kroch über ihre Haut bis tief ins Innere. Wo sie vorüberzog, blieb alles taub und still. Eine Stille, die aus Stille kam und Stille bleiben würde. Die Person im Spiegel war nicht die, die hineinschaute. Anders. Fremd. Nicht sie. Nicht die eigenen Augen. Nicht die eigenen Haare. Nicht das eigene Gesicht. Arme, Hände, der Leib. Alles da. Alles fremd. Sich wieder spüren, Schuld abladen, Buße tun. Eins werden. Unverrückt.
    Der erste Schnitt teilte die weiße Haut. Kein Gefühl. Taubheit. Blut trat aus der Wunde, lief den Unterarm entlang und tropfte in das Waschbecken. Der zweite Schnitt suchte ihren Schmerz in der Tiefe und fand ihn. Die Dimensionen rückten wieder zusammen. Mein Leib. Arme, Hände. Zusammengefügt und gehalten durch die Qual. Schnitt für Schnitt für Schnitt. Die Person im Spiegel war keine Fremde mehr. Ihre Tränen mischten sich mit Blut und darunter, nach langer Zeit – einem Lächeln. Und dem Gefühl von Glück.

NEUN
    Hermann begrüßte mich, bevor er mich sah. Das Maunzen des Katers war bis auf den Flur vor Steffens Wohnung zu hören.
    Steffen öffnete die Tür ein Stück und hielt den Fuß quer vor den Spalt, damit der Kater nicht entwischen konnte.
    »Ina!«
    »Wenn es zu spät ist, gehe ich wieder.«
    »Was machst du hier?«
    »Warten, dass du mich reinlässt. Lange kann ich nämlich nicht mehr stehen.« Mein Lächeln wirkte wohl nicht so überzeugend, wie ich beabsichtigt hatte.
    Er hielt mir die Tür auf. Der Kater schoss auf mich zu, buckelte und schmiegte sich an mich.
    »Du freust dich, Hermann.« Ich beugte mich zu ihm hinunter und streichelte die weiche Stelle hinter seinen Ohren. Sofort begann er zu schnurren und seinen Kopf an meinem Bein zu reiben.
    »Ich hatte mir schon so meine Gedanken gemacht, was ich alles bei dir zu erwarten hätte.« Steffen trug meine Tasche ins Wohnzimmer. »Flucht aus dem Krankenhaus stand nicht auf der Liste.« Er warf sie in eine Ecke, drehte sich um und umarmte mich. »Nicht dass ich mich nicht freuen würde …«Er küsste mich. »Aber solltest du nicht …?«
    »Nein«, unterbrach ich ihn. »Krankenhäuser vertrage ich nicht.« Ich ging zum Sofa und legte mich darauf. »Morgen früh werde ich wieder hinfahren, um nach meinem Vater zu sehen. Dann kann Thomas meine Beine versorgen. Das Antibiotikum schlägt gut an, und mich ausruhen kann ich auch hier.«
    Für einen kurzen Moment sah ich in Steffens Augen einen Ausdruck, der mich an alles andere als an Schonung denken ließ. Dann sagte er: »Du schläfst

Weitere Kostenlose Bücher