Gemuender Blut
linke Bein war nicht so geschwollen, schien aber eine ähnliche Rötung entwickelt zu haben. Schüttelfrost überkam mich. Trotzdem versuchte ich aufzustehen. Ich schaffte es bis zur Tür, dann wurde mir übel. Während sich alles um mich herum drehte, bemerkte ich vage, wie ich aufgehoben, in eine Decke gepackt und weggetragen wurde. Dann verschwamm die Dunkelheit um mich herum und ersparte mir gnädig den Schmerz.
»Komm, Ina. Trink einen Schluck Wasser.«
Mit geschlossenen Augen öffnete ich die Lippen und ließ die Flüssigkeit in meinen Mund laufen.
»So ist es gut«, sagte die Stimme, und ihre Fremdheit zwang mich, die Lider zu heben.
»Hey! Wieder da?« Michelle lächelte mich an und stellte das Glas auf den Nachttisch des Krankenbettes, in dem ich lag. Sie hatte wohl neben meinem Bett gesessen, eine aufgeschlagene Modezeitschrift in greifbarer Nähe, und schaute mich mit einer Mischung aus Neugierde und Mitleid an.
Ich starrte sie an, und sie schien die Frage in meinen Augen auch ohne Worte zu verstehen.
»Du bist im Krankenhaus. Steffen hat dich hierhergebracht. Du bist umgekippt.«
Ich erinnerte mich an Schmerz und dann daran, mich an nichts zu erinnern.
»Wo ist er jetzt?« Ich versuchte mich aufzurichten. Sofort schwankte alles um mich herum. Ich biss die Zähne zusammen und stemmte mich hoch. Erst jetzt bemerkte ich die Kanüle in meinem Handrücken.
»Er kommt gleich. Er hatte Hunger, und da habe ich mich bereit erklärt, hier bei dir zu bleiben.«
»Wie geht es meinem Vater?«
»Olaf ist bei ihm.« Sie zögerte kurz, wandte den Blick ab und strich sich über den Stoff ihrer Hose. »Unverändert.« Diese Mischung aus Mitleid und Neugierde in ihren Augen tat mir gut. Ich seufzte.
»Ich möchte zu ihm.«
»Nichts da. Du bleibst erst mal hier liegen.« Thomas Breitenbacher betrat das Zimmer. Sein Stethoskop hing wie eine Medaille um seinen Hals. Direkt hinter ihm konnte ich Steffens dunklen Lockenkopf entdecken.
Michelle stand auf und rückte ihre Bluse zurecht. Selbst aus meiner Position war ihr Ausschnitt nicht zu übersehen.
»Hallo, Herr Doktor«, sagte sie, strich sich mit einer fließenden Bewegung über den Nacken und warf ihren Zopf in einem Schwung nach vorne.
Thomas nickte kurz in ihre Richtung und kam dann an mein Bett. Steffen ging auf die andere Seite und zog sich einen Stuhl heran.
»Du hattest Glück, Ina. Die Blutvergiftung konnten wir gerade noch abwenden.« Er tippte mit dem Finger an die Flasche mit der klaren Flüssigkeit, die durch einen dünnen Schlauch tropfte und in der Kanüle an meiner Hand verschwand. »Das sind Antibiotika. Du hast subkutane Vereiterungen an deinen Schienbeinen. Erysipel. Wundrose.«
»Das heißt was?«, erwiderte ich und sah ihn an.
»In den Wunden haben sich Bakterien vermehrt und in deiner Lederhaut verteilt, vermutlich, weil Dreck hineingeraten ist.« Er schlug die Decke zurück und schüttelte den Kopf. »Wie bist du überhaupt zu solchen Verletzungen gekommen? Warst du auf Dschungelexpedition?«
»So ähnlich.« Ich bemerkte Michelles interessierten Blick. »Eigene Dummheit. Soll nicht wieder vorkommen.«
»Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Heute Morgen hat sich wohl dein Kreislauf verabschiedet – deswegen bist du umgekippt. Ich möchte gerne wissen, wieso. Mit einer Wundrose ist nicht zu spaßen. Ich muss es für einige Zeit unter Kontrolle halten. So lange wirst du mein Gast sein.«
»Hier …?« Mir verschlug es die Stimme. Ich hasste Krankenhäuser.
Steffen nahm meine Hand und drückte sie. Ich sah ihn an und schüttelte stumm den Kopf.
Er nickte und legte meine Hand wieder auf die Bettdecke.
»Aber …« Ich versuchte erneut aufzustehen. Die Wände schwankten.
»Nein!« Diesmal zog er mir die Decke bis unters Kinn und drückte sie an den Seiten fest.
Ich gab mich geschlagen.
»Aber bringt mich wenigstens zu Hermann.« Mein Blick wanderte zwischen Thomas und Steffen hin und her. Einer von beiden würde sich schon angesprochen fühlen.
»Nehmen Sie sich einen Rollstuhl, Herr Ettelscheid, und schieben Sie die Dame nach oben. Sie ist nicht infektiös.« Thomas wies auf die Tür. »Ich befürchte, das können wir ihr nicht auch noch verbieten.«
* * *
In der Schule hatten die anderen Kinder gelacht und gespottet, als sie sich weigerte, die Mütze abzunehmen. Sie rissen und zerrten an ihrem Kopf, bis der Stoff abrutschte und die Blicke aller auf den kahlen Schädel zog. Sie schlug um sich. Wehrte sich. Prügelte,
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