G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer - Felsing, K: G.E.N. Bloods 1 - Eisfeuer
ihr Ende bevorsteht, würde in fast jedem der Wahnsinn zutage treten und ihn zu einem gehetzten Tier machen, das nur noch an sein eigenes Wohl denkt. Die Panik würde zu unkontrolliertem Verhalten führen, das jeden im Kampf um die nackte Existenz sprichwörtlich über Leichen gehen lässt. Gnadenlos würde die Herde über am Boden Liegende hinwegfegen und sie zu Tode trampeln. In der Mitte des Lebens vor die grausame Wahrheit des baldigen Sterbens gestellt zu werden, schmeckt bitter. Er hat so viele Pläne gehabt auf dem Weg zum Staranwalt. Von jedem Staubkörnchen befreit lag die Strecke zum Erfolg vor ihm. Nur noch ein winziger Endspurt hat gefehlt, um den Höhepunkt seiner Karriere zu erreichen, ehe er sich daran begeben hätte, Vaters übrige Wünsche zu erfüllen. Nicht, dass er es ihm jemals hat verweigern wollen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Er ist wie immer durchaus mit den Vorstellungen des alten Herrn konform gegangen, obwohl ihm das, seit er denken kann, manch bittere Pille bereitet hat. Mom ist an Krebs gestorben, da war er dreizehn. Seitdem kompensiert Vater all seine Liebe, seine Fürsorglichkeit und sein ganzes Interesse allein auf ihn. Er hat ihn über Eliteschulen bis zu einer Eliteuniversität getrieben. Nur vage erinnert er sich an Kindheitsträume, in denen er andere Vorstellungen gehabt hat, als Anwalt zu werden. Nicht die üblichen Jungenfantasien wie Feuerwehrmann, Polizist, Astronaut, Rennfahrer, Kapitän oder Pilot. Er wollte Bildhauer werden oder Maler. Oder beides. Auf jeden Fall ein Künstler. Spätestens seit Moms Tod hat es keine Diskussion mehr gegeben, dass er Jura studieren und in Vaters Kanzlei eintreten würde.
In Houston fragt Cindy nach einem Glas Wasser. Er geht mit ihr in ein Bistro. Sie haben eine gute halbe Stunde Zeit, ehe sie zum Gate aufbrechen müssen.
„Warum tun Sie das?“ Sie sieht ihn zum ersten Mal direkt an. Ihre Augenfarbe gleicht einer stürmischen See. Blaugrau, in Schwarz überlaufend. Ihre Pupillen sind geweitet. Vermutlich liegt das an der Flugangst, vielleicht auch an der Angst vor ihm oder der Angst vor dem Tod. Sie weiß, was auf sie zukommt.
Ihre Stimme klingt melancholisch und beherrscht. Sie zittert, ganz leicht nur. Es liegt eine Prise von Widerstand und Courage darin. Das Mädchen zeigt Rückgrat und versucht aufzubegehren, wie schon, nachdem er mit dem Video diesen gehirnlosen Muskelprotz in die Flucht geschlagen hat. Das gefällt ihm.
Ein Adrenalinkick jagt durch seine Adern und gibt ihm einen Ruck. Cindy beweist erneut, dass sie keineswegs an dem Punkt ist, an dem er sie ursprünglich hat sehen wollen. Er hat sich geirrt. Vor einem Dreivierteljahr in New Orleans war sie nah dran, sich aufzugeben, und er hätte sich damit zufriedengegeben, nicht einmal gewusst, dass es eine weitere Steigerung gibt. Er muss ihr dankbar sein. Sie hat sich verändert und ein neues Gefühl ausgelöst. Das Jagdfieber hat sich zu einer lodernden Feuersbrunst entwickelt. Seit Cindy auf der Straße ausgerastet ist, hat er begriffen, dass ihr Schneid ihm noch höhere Dosen der ersehnten schmerzstillenden Opioide durch die Venen jagt. Ein winziger Zweifel schleicht sich in sein Bewusstsein, ob es ihm tatsächlich gelingen wird, Cindy in die Höhle zu bringen. Er greift in die Innentasche seines Jacketts und zieht eines der Fotos von Jamie am Tatort heraus. Es ist nur ein Tintenstrahlausdruck, aber eine Vergrößerung, die ihre blutverschmierte Hand an der Waffe zeigt. Halb unter seiner Hand verdeckt hält er die Abbildung so, dass Cindy einen kurzen Blick darauf werfen kann, und schiebt das Papier zurück. Sie senkt die Lider, aber er hat das Aufblitzen von Wut in ihren Augen gesehen. Beklemmung erfasst ihn, dass ihm die Situation entgleiten könnte. Welche Chancen rechnet sie sich aus? Für den Fall, dass sie flieht, kann sie unmöglich glauben, dass die Zeit bis zum Ablauf des Countdowns für die Cops reichen wird, die Fabrikhalle zu finden und die Beweise zu sichern, ehe alles in die Luft fliegt. Das kann sie schon in L. A. nicht angenommen haben. Bis die Polizei sie vernommen hat und tätig werden wird, ist es längst zu spät. Außerdem muss sie damit rechnen, dass er die Explosion vorziehen kann. Welche Pläne überschlagen sich wohl gerade in ihrem Kopf?
„Was sollte mich davon abhalten, aufzuspringen und um Hilfe zu rufen? Ich werde ohnehin sterben, nicht wahr?“
Oh, sie hat die Zeit zum Nachdenken genutzt und ihren ersten Schock überwunden. Würde
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