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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Bernhard Horsthemke hat die Antwort gefunden, nachdem er das Erbgut einer Großmutter von Peter und Paula untersucht hatte: Die Oma väterlicherseits hatte einen äußerst seltenen genetischen Defekt, der das normale Imprinting verhindert, und sie hat diesen Defekt an ihren Sohn (den Vater von Paula und Peter) weitergegeben. Er stellt aus diesem Grund Samenfäden her, die kein Imprinting machen können.
    Als die Mutter von Peter und Paula von diesen Zusammenhängen erfuhr, war sie endlich von ihren Schuldgefühlen befreit.

Kapitel  4 Angeboren, aber nicht vererbt
    Auf den ersten Blick könnte man Heide und Lisa für Zwillinge halten. Sie haben blaugraue Augen, sie tragen die braunen Haare nach hinten und sind knapp 1 , 60 Meter groß.
    Doch ansonsten haben die beiden Schwestern wenig gemein. Die 19  Jahre alte Heide und die 20  Jahre alte Lisa sind nicht blutsverwandt und nur durch Zufall in derselben Familie aufgewachsen. Jeweils wenige Wochen nach der Geburt wurden sie von einem Ehepaar im westfälischen Soest aufgenommen und adoptiert.
    Die Eltern Maria und Gerhard, beide Mitte fünfzig, konnten keine eigenen Kinder kriegen. Deshalb bemühten sie sich damals um Adoptivkinder, und mit der Ankunft der beiden Babys schien sich der große Traum zu erfüllen, erzählt Maria. [26] Sie sagt: »Endlich hatten wir eine Familie.« Sie kümmert sich um die beiden Töchter und führt den Haushalt, der Vater arbeitet als Professor für Maschinenbau. Er kommt oft früh heim, weil er sich auf die Töchter freut.
    Lisa, die Ältere, blühte von Anfang an auf. Jetzt hat sie das Abitur bestanden, studiert Medizin und möchte vielleicht einmal Kinderärztin werden.
    Ganz anders dagegen Heide. Die Mutter erzählt: »Sie war ein ängstliches Baby und eckte schon im Kindergarten an. Heide war unruhig und laut.« Als Teenager kam sie im Unterricht kaum mit. Sie schwänzte die Schule und hing mit Punkern am Bahnhof herum. Schließlich ist sie auf ein besonderes Kolleg für Menschen mit Lernstörungen gekommen.
    Es sind aber weniger die Leistungen in der Schule und der schlechte Umgang, die die Eltern bekümmern. Viel stärker haben sie mit Heides Gefühlsschwankungen zu kämpfen. Sie kann charmant sein, aber verliert häufig von einer Sekunde auf die andere die Kontrolle und beschimpft haltlos ihre Eltern!
    Diese versuchen die Tiraden äußerlich gelassen zu ertragen, aber ihre Verzweiflung ist in den zurückliegenden Jahren immer schlimmer geworden. Sie konnten sich den Unterschied zwischen ihren Töchtern nicht erklären. Hatten sie Heide nicht genauso liebevoll wie Lisa aufgenommen? Beide Töchter stammen aus schwierigen Verhältnissen und waren von den Behörden gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben worden.
    Im Mutterleib vergiftet
    Als Mitarbeiter des Jugendamts ihnen die kleine Heide übergaben, hatten sie die künftigen Adoptiveltern noch beruhigt: Dem Säugling fehle nichts. Doch nach einer jahrelangen Odyssee von Therapeut zu Therapeut haben die Eltern allen Grund, an den damaligen Versicherungen zu zweifeln. Heide kam offenbar behindert auf die Welt; noch im Leib ihrer Mutter wurde ihr Gehirn durch Alkohol dauerhaft geschädigt. »Embryofetales Alkoholsyndrom« lautet die Erkrankung, die ein Arzt vor zwei Jahren festgestellt hat.
    Durch eigene Recherchen fanden die Eltern heraus: Als es damals darum ging, das Baby zu vermitteln, haben Mitarbeiter des zuständigen Jugendamts Soest offenbar nicht die ganze Wahrheit erzählt. Im Dezember 1989 , nur einen Monat nach Heides Geburt, hatte eine Sachbearbeiterin in einer internen Aktennotiz ein Alkoholproblem vermerkt: Die leibliche Mutter habe die Schwangerschaft erst im vierten Monat festgestellt und »gab an, täglich betrunken gewesen zu sein, und deswegen erfolgte ihre Einweisung in das Landeskrankenhaus Eickelborn«.
    Von diesem brisanten Eintrag hätten sie damals kein Sterbenswörtchen zu hören bekommen, sagen Maria und Gerhard. Erst als sie nachforschten, hätten sie von der Alkoholkrankheit der leiblichen Mutter erfahren – da lebte Heide bereits 17  Jahre bei ihnen. »Wir fühlen uns betrogen«, sagt Gerhard im Rückblick. Und Maria fügt hinzu: »Wenn die uns damals ehrlich gesagt hätten, das Kind ist geistig behindert, dann hätten wir uns das nicht zugetraut. Wir hätten die Heide nicht adoptiert.«
    Diese Geschichte ist nur ein Teil einer unglaublichen Tragödie. Allein in Deutschland kommen jedes Jahr 4000 Babys auf die Welt, deren Gehirn erheblich

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