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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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durch Alkohol geschädigt ist. Oftmals wirken die Kinder so, als seien sie mit einer merkwürdigen Erbkrankheit auf die Welt gekommen. Ihr Leiden ist angeboren, jedoch nicht genetisch vorbestimmt. Die betroffenen Kinder haben keine Mutationen, sondern sie verfügen über ein normales Erbgut und hätten sich gesund entwickeln können – wären sie nicht im Mutterleib regelrecht vergiftet worden.
    Die betroffenen Kinder gehören zu den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft. Sie sind gesundheitlich schwer gezeichnet und werden in Familien geboren, in denen die Eltern massive Alkoholprobleme haben. Auch die Behörden stellt das vor gewaltige Herausforderungen. Sie müssen für die Kinder einen Heimplatz finden oder eine neue Familie – das ist die gesellschaftliche Dimension. Tragisch ist auch, wie wenig über das embryofetale Alkoholsyndrom bekannt ist. Die meisten Kinder bleiben zunächst ohne klare Diagnose und werden von den Behörden in Pflege- oder Adoptivfamilien gegeben – denen die gesundheitlichen Einschränkungen des Kindes zu diesem Zeitpunkt jedoch gar nicht bewusst sind.
    Etlichen Familien geht es wie Maria und Gerhard aus Soest: Sie wollen ausdrücklich ein gesundes Kind adoptieren – und nehmen unwissentlich ein schwer eingeschränktes Kind auf, um das sie sich für den Rest des Lebens kümmern werden. Gedankt wird den Eltern diese – zumindest zu Beginn nicht ganz freiwillige – Nächstenliebe nicht. Weil viele der betroffenen Kinder noch gar keine Diagnose haben und vor dem Gesetz als gesund gelten, erhalten die Eltern keine therapeutische oder finanzielle Unterstützung.
    Dafür gibt es die genervten Blicke und spitzen Bemerkungen der anderen: Nachbarn und sonstige außenstehende Menschen ahnen nichts von den dramatischen Umständen – und halten die Eltern von Kindern mit embryofetalem Alkoholsyndrom für unfähig und überfordert.
    In der Unkenntnis liegt die unglaubliche Tragik – ohne Alkohol in der Schwangerschaft gäbe es die Erkrankung gar nicht. So aber ist das embryofetale Alkoholsyndrom einer der häufigsten Gründe dafür, dass Babys mit Wachstumsdefekten und geistigen Einschränkungen auf die Welt kommen. Rund 14  Prozent aller schwangeren Frauen, so eine Umfrage des Robert Koch-Instituts in Berlin, trinken Wein, Bier oder Schnaps – und verändern damit die Steuerung der Gene in den Zellen der ungeborenen Kinder.
    Versuche an Mäusen zeigen, wie der Trinkalkohol (Ethanol) seine schädliche Wirkung in den Zellkernen entfaltet. [27] Die Forscher kreuzten Männchen, die ein Gen für eine helle Fellfarbe tragen, mit dunklen Weibchen, und zwar aus folgendem Grund: Sie wollten untersuchen, inwiefern Ethanol die Ausprägung des Gens für helle Fellfarbe stört. Einem Teil der schwangeren Tiere gaben sie in den folgenden acht Tagen nur noch präpariertes Wasser zu trinken, das sie mit zehn Prozent Ethanol versehen hatten. Nach dieser Ethanol-Phase gab es dann für den Rest der Schwangerschaft (ungefähr noch 12 weitere Tage) reines Wasser. Auf diese Weise wollten die Forscher die Wirkung von Alkohol im ersten Schwangerschaftsdrittel beim Menschen simulieren. Die schwangeren Mäuse der Kontrollgruppe bekamen nur Wasser.
    Der Alkohol im Mutterleib hatte dramatische Folgen. Im Vergleich zu den Kontrolltieren brachten die alkoholisierten Mütter ungewöhnlich viele Kinder mit dunklem Fell auf die Welt. Das ging mit auffälligen Veränderungen in den Zellkernen der Babys einher: Das väterliche Gen für die helle Fellfarbe war stark methyliert und dadurch stillgelegt. Aber auch in den Zellen der Leber hatte das Ethanol die Steuerung des Erbguts durcheinandergebracht. Die Aktivität von zwölf Genen war erheblich eingeschränkt; von dreien ist bekannt, dass sie normalerweise das Wachstum regeln, von drei anderen weiß man, dass sie eine Rolle in der Entwicklung des Nervensystems spielen. Mit diesen Störungen auf der Ebene der Gene gingen morphologische Veränderungen einher: Die dem Ethanol ausgesetzten Mäusebabys waren einerseits auffällig leicht, und zum anderen waren ihre Schädel verkleinert. Es sind genau jene Schäden, die Kinderärzte auch an alkoholgeschädigten Neugeborenen sehen. Vor allem die Auswirkungen auf das Gehirn, die nicht nur zu geistigen Einbußen, sondern auch zu auffälligem Sozialverhalten führen, sind in schweren Fällen eigentlich kaum mehr zu vermindern.
    Sprechstunde für verzweifelte Eltern
    Einer, der das schon an mehr als 500 alkoholgeschädigten

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