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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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schädlichen und hochgradig beunruhigenden Folgen führen können.«
    Mobilmachung des Körpers
    Den Begriff »Stress« indes nahm der Gelehrte noch nicht in den Mund. Das blieb dem Biochemiker Hans Selye ( 1907 bis 1982 ) vorbehalten. An der McGill University in Montreal erschwerte er Ratten systematisch das Leben: Einige setzte er in bitterkalten Winternächten aufs Institutsdach, andere mussten in der Hitze des Heizungskellers hecheln, wieder andere wirbelte er in einer Trommel herum, bis sich ihnen alles drehte.
    Egal, was Doktor Selye den Tieren auch antat – auf jede Art von Qual antworteten sie auf ein und dieselbe Weise: mit schrumpfenden Lymphknoten und mit Magengeschwüren. Selye übertrug seine Erkenntnis auf den Menschen: Offenbar gebe es auch in dessen Leib ein System, das Belastungen wie Kälte, Hitze, Drogen, Schlafentzug, Schmerzen und Trauer in bestimmte Symptome umwandelt. Um dieses System zu bezeichnen, wählte er das englische Wort für Belastung oder Druck:
stress
.
    Praktisch über Nacht hatten die Menschen eine Projektionsfläche für viele Erkrankungen, Sorgen und Probleme. Stress ist demnach ein uraltes Körperkommando, das vor allem eines bedeuten soll: Jetzt geht es um Leib und Leben – flieh oder kämpfe!
    Wie elektrisch aufgeladen reagieren dann die Körpersysteme: Blitzschnell schüttet das Gehirn Alarmstoffe aus und setzt im Körper in einer Kaskade Hormone wie Adrenalin und Kortisol frei. Es folgt die Generalmobilmachung des Körpers: Die Leber stellt Zucker zur Verfügung, wodurch die Muskeln und das Gehirn vermehrt mit Energie versorgt werden. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atemfrequenz schnellt empor, damit der Körper mehr Sauerstoff umsetzen kann.
    Gleichzeitig aktiviert ein Mensch unter Stress unterschiedliche Schutzmechanismen: Das Blut gerinnt leichter, damit es, im Falle einer Verletzung, nicht so schnell aus dem Körper läuft. Der Schweiß bricht aus, damit sich der Organismus im Kampf oder auf der Flucht nicht überhitzt. Hormone fluten ins Blut, die den Menschen weniger empfindlich für Schmerzen machen und seine Sinne hellwach. Funktionen, die in der lebensbedrohlichen Situation nicht weiterhelfen, werden derweil unterdrückt: Sexualtrieb, Verdauung und Immunsystem. Bei höchster Gefahr wäre all das nur Verschwendung kostbarer Energieressourcen.
    Dieses ausgetüftelte System ist ein Relikt aus der Steinzeit, der Adrenalin-Kick, der einst auf der Mammutjagd die Sinne schärfte, kann heute die Schlagfertigkeit erhöhen, wenn man mit dem Chef spricht. Und eine Alarmreaktion, die ursprünglich Säbelzahntigern galt, kann nun vor rasenden Autos schützen.
    Das Problem ist nur: Selbst wenn es gar nicht um Leben und Tod geht, wird Stresswelle um Stresswelle ausgelöst, und der Körper befindet sich in ständiger Alarmbereitschaft, sei es durch Ärger in der Familie, abstürzende Aktienkurse, drohende Arbeitslosigkeit, intrigante Kollegen – oder auch nur durch die bloße Vorstellung, die anderen würden tuscheln.
    Krank, weil fremdbestimmt
    Wenn die Phasen der Erholung immer seltener werden, hat der Körper keine Chance mehr, sich wieder auf Normalwerte einzupendeln. Ein Beispiel: Ständige Erreichbarkeit schadet dem seelischen Befinden, wie eine Befragung von knapp 700  Angestelltenpaaren in den USA offenbart hat. Jene, die ihr Mobiltelefon auch zu Hause angeschaltet hatten, wurden nervöser, überforderter und trauriger – die Arbeit verfolgte sie noch viel stärker als bisher.
    Die anschwellende Informationsflut sowie private und berufliche Belastungen können jedoch nicht erklären, warum Stress zum Fluch der Moderne geworden ist. Denn manch einer blüht ja regelrecht auf, wenn es im Job so richtig zur Sache geht. Warum nur, so fragt man sich, können wiederum andere bei hoher Anforderung plötzlich selbst geringe Aufgaben nicht mehr stemmen?
    Es liegt nicht an den Genen, sondern an der Art der äußeren Belastung. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen positivem und negativem Stress, zwischen Ansporn und Überforderung. Entscheidend scheint zu sein, wie viel oder wie wenig Kontrolle ein Mensch über sein Leben behält. Wer hohe Anforderungen bewältigen soll, aber kaum Einfluss nehmen kann, der ist am stärksten bedroht.
    Das erklärt beispielsweise, warum ausgerechnet Menschen, die anderen von Berufs wegen helfen wollen, nicht etwa Erfüllung, sondern nach einigen Berufsjahren oftmals nur noch Ängste und Verärgerung spüren: Viele

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