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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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ist zum Beispiel sein Auslöser »Lärm« geworden. Etwa 13  Millionen Deutsche sind durch einen Geräuschpegel belastet, der ihre Gesundheit gefährdet: Ihr Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist dadurch erheblich erhöht.
    Besonders schlimm ist es, wenn der Krach den Schlaf stört oder unmöglich macht. Körper und Seele werden durch den Schlafentzug regelrecht gemartert. In der Umgebung des Flughafens Köln/Bonn etwa hat eine Studie ergeben: Menschen, die zwischen drei und fünf Uhr nachts Fluglärm ausgesetzt sind, greifen überdurchschnittlich häufig zu Blutdrucksenkern, Tranquilizern und Mitteln gegen Depressionen.
    Wie sehr Überforderung schon Kindern und Jugendlichen zu schaffen macht, lässt eine Umfrage im Auftrag der Deutschen Angestellten-Krankenkasse unter tausend Müttern und Vätern erahnen. Demnach gaben 42  Prozent der Eltern an, sie hätten Stresssymptome bei ihren Kindern entdeckt: Unkonzentriert seien diese, nervös oder überdreht.
    Unter den Erwachsenen empfinden viele Menschen den Beruf nicht etwa als Berufung, sondern als Krankmacher. Mieses Betriebsklima, unfaire Behandlung, gebrochene Absprachen, Zeitdruck, Über-, aber auch Unterforderung und vor allem ausbleibende Anerkennung zählen zu den entscheidenden Ursachen dafür, dass die Fälle seelisch bedingter Arbeitsunfähigkeit in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben. Psychologen konstatieren ein »Vor-Altern«, das die Wirtschaftskraft eines Landes empfindlich schwächt. Mehr als 100   000  Bundesbürger gehen jedes Jahr vorzeitig in Rente, ein Drittel von ihnen, weil sie sich krank an der Seele fühlen.
    Um das berüchtigte Burn-out-Syndrom zu vermeiden, schicken Firmen ihre Mitarbeiter zunehmend zu Antistresskursen. An der Berliner Charité etwa räkeln sich geschlauchte Manager auf Matten und lauschen Meeresrauschen, das aus den Lautsprechern einer Stereoanlage kommt. Seit einigen Jahren biete man die Kurse nun schon an, sagt der Charité-Psychiater Mazda Adli: »Die Nachfrage ist riesig.«
    Einer, der ebenfalls einen Ansturm an Kundschaft verzeichnet, ist der Nervenarzt Tarique Perera. Abends und an den Wochenenden betreut er krankhaft niedergeschlagene und verängstigte Menschen in seiner Praxis in Danbury im US -Bundesstaat Connecticut; an den Werktagen pendelt er eine Stunde lang zum New York State Psychiatric Institute im Norden Manhattans, wo er den Ursprung von Depressionen ergründet.
    Seine Patienten, von denen viele heimlich zu Perera kommen, führen ein vereinsamtes Leben, haben Ärger auf der Arbeit, durchleben Beziehungskrisen und werden – nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise – im sündhaft teuren New York von Geldsorgen geplagt.
    Einsamkeit verändert das Gehirn
    Vor einiger Zeit ist Perera auf eine ungewöhnliche Idee gekommen: Müsste es nicht möglich sein, die Leiden der Großstadtneurotiker in einem Tierversuch nachzustellen? Der Forscher beschloss, ein Experiment mit Indischen Hutaffen zu versuchen.
    Diese graubraunen Primaten sind von Natur aus auf soziale Kontakte eingestellt. Ähnlich wie Menschen leiden sie, wenn sie einsam sind. Um also den psychosozialen Stress urbaner Einzelkämpfer zu simulieren, trennte Perera die Affen über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten wieder und wieder voneinander und ließ sie zwei Tage in der Woche jeweils allein im Käfig sitzen.
    Während er davon erzählt, lässt Perera die Schultern hängen, den Kopf hält er schief, seine Augen wirken plötzlich gebrochen. »Genau so sahen die Affen nach einer Weile aus«, sagt der Psychiater. »Die haben nur noch teilnahmslos vor sich hin gestarrt.«
    Allerdings wurden nicht alle Primaten verzweifelt. Einigen von ihnen hatte Perera zu Beginn des Experiments ein Mittelchen ins Futter gemischt – trotz der Isolation blieben diese Tiere fidel.
    Wie bei den Meditationsübungen der Psychologin Hölzel, so waren auch hier keine Zauberkräfte, sondern schlicht biologische Prozesse am Werk: Die von Perera verabreichte Substanz ließ im Hippocampus neue Nervenzellen wachsen. [70]
    Diese an der Innenseite des Schläfenlappens gelegene Struktur zieht wie kaum eine andere das Interesse der Hirnforscher auf sich. Vom Riechkolben einmal abgesehen, ist der Hippocampus der einzige Ort im Gehirn ausgewachsener Säugetiere, in dem neue Nervenzellen heranreifen können.
    Die Entdeckung dieses Jungbrunnens im Kopf gilt als Sensation. Denn die meiste Zeit war in den Lehrbüchern der Neurologie zu lesen, das menschliche

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