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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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Krankenhausärzte arbeiten ständig unter Zeitdruck, werden vom autoritären Chef gegängelt und haben kaum Aufstiegschancen – zur gleichen Zeit geben sie alles, weil es um die Gesundheit ihrer Patienten geht. Lehrer und Erzieherinnen, Altenpfleger und Sozialarbeiter stehen in den Statistiken der »arbeitsbedingten psychischen Erschöpfung« ebenfalls ganz oben. Sie arbeiten mit Menschen zusammen, auf deren Kooperation sie angewiesen sind – die ihnen aber häufig verwehrt bleibt.
    Das Ausmaß der Fremdbestimmung hängt direkt zusammen mit Symptomen und Erkrankungen. Britische Epidemiologen haben das an mehr als 10   000  Staatsangestellten klar nachgewiesen: Je weniger ein Mitarbeiter auf seiner Dienststelle zu melden hatte, je stärker er den Anweisungen anderer ausgeliefert war, desto höher war sein Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden.
    Und deutschen Forschern offenbarte sich ein erstaunlich starkes soziales Gefälle: In einer Herz-Kreislauf-Präventionsstudie mit 10   000  Teilnehmern zeigte sich, dass im unteren Fünftel der Bevölkerung Herz- und Kreislauferkrankungen doppelt so häufig vorkommen wie im oberen Fünftel. Wenn man Risikofaktoren wie Rauchen und körperliches Nichtstun aus den Daten herausrechnet, bleibt dieser »soziale Gradient« bestehen – der übrigens auch bei Asthma, Diabetes, Fettsucht, Depressionen und Rückenschmerzen zu beobachten ist. Mit einem Wort: Je geringer der Status eines Menschen ist, desto elender scheint es ihm zu ergehen.
    Verschlimmert wird der Stress noch, wenn das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht beachtet wird. Für die erbrachte Leistung verlangen Menschen eine angemessene Belohnung in Form von Gehalt, beruflichen Perspektiven und allgemeiner Wertschätzung. Wird diese unausgesprochene Tauschbeziehung durch den Chef nicht eingehalten, komme es zu »ausgeprägten Stressreaktionen«, erklärt der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist: »Wer ohne Chance auf beruflichen Aufstieg jahrelang Schwerstarbeit leistet oder dabei sogar um seine Stelle fürchten muss, scheint besonders gefährdet zu sein.«
    In diesen Lebenslagen können Familie und Freunde den Dauerstress mindern – doch gerade daran scheint es in der heutigen Gesellschaft zu mangeln. »Die sozialen Kontakte werden geringer«, beklagt der Göttinger Stressforscher Fuchs. »Viele Leute sitzen allein da und haben gar keine Möglichkeit, mit anderen Leuten zu reden.«
    Wenn Ohnmacht, Isolation und fehlendes Lob lange andauern und wenn der betroffene Mensch keine Abwehrstrategien ergreift, dann kann Stress sich extrem auswirken. Die biochemischen Regelkreise sind permanent alarmiert, die epigenetische Signatur der Körperzellen ist verändert – was zu einer Fülle von typischen Zivilisationskrankheiten führen kann.
    Sozialer Schadstoff macht allergisch
    Ausgeprägt ist die Verschlechterung des Immunsystems – zu betrachten ist dies, wenn bei Stress der Herpes auf der Lippe blüht. In einer Studie ließen sich 400  Probanden mit Erkältungsviren infizieren. Diejenigen, die sich selbst als gestresst bezeichneten, wurden deutlich häufiger krank. Die entspannten Probanden indes waren viel besser in der Lage, die Viren abzuwehren.
    So könnten auch Asthma, an dem etwa fünf Prozent der Erwachsenen leiden, und Allergien einem durch Stress in die Wiege gelegt werden. Die Ärztin Rosalind Wright von der Harvard Medical School hegt diesen Verdacht. Sie hat mehr als 500 arme Familien in Boston und drei weiteren US -Städten untersucht und notiert, was die Frauen alles auszuhalten hatten: Geldsorgen, Beziehungskrisen, Kriminalität in der Nachbarschaft oder Gewalt in der Familie. Wann immer eine Frau ein Baby gebar, bekam die Forscherin eine Probe mit Nabelschnurblut, das auch Zellen der Körperabwehr enthält. Diese Zellen hat Rosalind Wright im Labor Hausstaubmilben, Viren und Bakterien ausgesetzt, um zu sehen, inwiefern sie normal funktionieren. Je stärker die Mutter gestresst war, desto auffälliger waren die Immunzellen der Kinder und machten diese anfällig für Asthma und Allergien. [71] In früheren Studien hat Wright ähnliche Effekte gesehen, und sie hält Stress für einen sozialen Schadstoff. »Atmet man ihn ein, kann er das Immunsystem beeinträchtigen.«
    Herzkrank und dick
    Inzwischen können Mediziner auch besser erklären, warum seelische Überlastung das Herz erschöpft. Zum einen treibt das Adrenalin den Puls hoch und nötigt dem Herzen auf diese Weise kräftezehrende

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