Generalprobe Zeitballett
viel ertragen müssen wie die brave RODKON-WHU in jenen Gewässern, die in der Realzeit wegen der überwiegend ruhigen Großwetterlage beliebt waren.
Von einem Passat war nichts zu spüren. Der Wind schralte ständig, schlug urplötzlich um achtzig bis hundertsechzig Grad um und veränderte dabei noch seine Stärke.
Wenn irgendwo im Norden eiskalte Luftmassen auf erhitzte, äquatoriale Strömungen prallten, bekamen wir das kurz darauf und völlig warnungslos zu spüren.
Die Folge der extremen Bedingungen war, daß wir kaum einmal zwei bis drei Stunden lang auf Kurs bleiben konnten.
Wenn ich den Begriff »Freiwache« erwähnte, hatten die Männer nur noch ein sarkastisches Lächeln übrig, denn zum ausgedehnten Schlaf kam niemand.
Wenn der Wind umsprang und die eben noch hart am Wind liegende RODKON-WHU den Druck plötzlich von Backbord querab zu spüren bekam, glich das einem gewollten Backbrassen.
Die Fahrt ging sofort aus dem Schiff heraus. Wahnwitzig killende Segel täuschten eine Serie von Kanonenschüssen vor, und die mastverlängernden Stengen schienen wieder einmal brechen zu wollen.
Das bedeutete, daß wir ständig an den Brassen zu stehen hatten, um zu versuchen, bei den extrem schnell und hart umschwenkenden Winden die Rahen schnellstens neu auszurichten. An ihnen waren schließlich die Rahsegel befestigt, die dem Windeinfall entsprechend gesetzt werden mußten.
Es war eine seemännische Hölle. Sie ließ mich verstehen, warum nur wenige Kapitäne die Überfahrt wagten.
»Vielleicht kommt ihr bald mit dem Großstengestagsegel klar«, tobte Allison. »Beleron, lassen Sie gefälligst Ihre Leute mit den Brassen auslaufen. Verdammt – nicht Hand über Hand ziehen; auslaufen, habe ich gesagt. Herum mit der Großmarsrah. Rudergänger – abfallen. Mann, abfallen! Konnat, lassen Sie keinesfalls den Lateinerbesan ausrauschen. Sehen Sie sich das mal an. Belegen Sie gefälligst die losen Enden. Ihr Brüder hättet in die Hände eines Kommandanten Seiner Britannischen Majestät zu Nelsons Zeiten gehört. Begreifen Sie eigentlich nicht, was ich mit abfallen meine? Sie sind gemeint, Herr Rudergänger.«
Ich umklammerte fluchend die Steuerbordkreuzwanten, schüttelte den nächsten Wasserguß von mir ab und wartete darauf, daß einige Spiere von oben kamen. Zwei Männer hingen im Kreuzmars und bemühten sich, das Reff im Besanmarssegel erneut einzustecken.
Die RODKON-WHU fiel wild rollend ab, spürte dann den Druck in den schnell herumkommenden Segeln und wurde wieder steuerbar.
»Achtern stützen. Das ist mir zu lasch«, donnerte Allisons Tausendwatt-Stimme. »Härter anbrassen das Besanmarssegel. Ja, gut so. Belege das.«
Ich sprang über das Hüttendeck nach vorn, umklammerte die Reling zum tieferliegenden Achterdeck und starrte auf den Kompaß, den wir zusätzlich installiert hatten.
Durch das Manöver war das Schiff erneut vom Zielkurs abgekommen. Es lag nun auf dreihundertvierzig Grad, also fast auf Nordkurs.
Nishimura tauchte aus dem milchigen Dunst auf. Es war heller Tag, die südliche Sonne stand im Zenit, aber die plötzlich auftauchende Nebelbank war hier so typisch wie die Gletscher in der Höhe vom heutigen London.
»Treibeis!« schrie mir Kenji zu. »Wenn man so unverhofft in eine Waschküche kommt, kann man damit rechnen. Sie sollten gegen die Südwestbrise aufkreuzen lassen, oder wir krachen in ein Schollenfeld hinein. Es wäre nicht das erste Mal.«
»Aufkreuzen?« lachte ich humorlos und ging vor einem achtern überkommenden Brecher in Deckung. »Mit wem, Kenji? Mit knapp sechzig körperlich fertigen Männern? Es ist eine Zumutung, alle Augenblicke über Stag gehen zu
Weitere Kostenlose Bücher