Generalprobe Zeitballett
können wir mit einer technisch orientierten Epoche rechnen, die dem römischen Imperium unter Nero ähnelt. Große Denker, Dampfbäder, Kanalisation, beeindruckende Bauwerke und in hoher Blüte stehende handwerkliche Künste werden wir vorfinden. Daneben gibt es den marsianisch geschulten Atlanter, dem die Funktion eines Raumschiffstriebwerks verständlicher ist als uns.«
»Mahlzeit!« murmelte der Kleine. »Das kann heiter werden. Ich – was ist das?«
Ich hatte das Lohen ebenfalls bemerkt.
Weit landeinwärts – dort, wo sich ein gewaltiger Gebirgszug quer durch den Inselkontinent zog, hellte sich der Horizont auf.
Es dauerte nur Minuten, bis die Leuchterscheinung so gewaltig geworden war, daß man ihre Zweckbestimmung erkannte.
»Ein riesiger Schutzschirm, so lang wie das Gebirge«, stellte Allison fest, der keuchend herbeigeeilt war. »Dort werden ungeheure Kräfte freigesetzt. Sind Sie sicher, daß die Gebirgskette mit dem Atlantischen Rücken unserer Zeit identisch ist?«
»Absolut sicher«, fiel Tanahoyl ein. »Meine Herren, es wird ernst! Der Atlantische Rücken ist das mächtigste Gebirge der Erde und nur deshalb nicht zu sehen, weil er weit unter der Meeresoberfläche liegt. Er erstreckt sich jedoch von Südafrika bis in den Nordatlantik. Teile davon stellen das Zentralgebirge von Atlantis dar. Nach der Großen Flut werden auch diese Berge absinken. Nur die Azoren, die zur Zeit höchsten Gipfel, werden noch über den Wasserspiegel emporragen. Die Bermudas und einige andere Inselgruppen sind Mitglieder anderer atlantischer Gebirgsformationen. Ein echter Bestandteil des Rückens sind nur die Azoren. Wenn die Aussagen des Marsianers Folrogh stimmen, dann bevorzugen die marsianischen Kolonialherren die höheren Gebirgszonen als Wohnsitz. Dort ist die Luft dünner und marsähnlicher. Dort gibt es auch genügend Kraftwerke oder autarke Kleinanlagen, mit denen man innerhalb geschlossener Siedlungen oder wichtiger Regierungszentren die irdische Schwerkraft auf den marsianischen Normalwert reduzieren kann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß neu ankommende Marsianer besonderen Geschmack an unserer dicken Luft und an unserer hohen Gravitation finden könnten. Solche Leute werden die heimischen Bedingungen auf alle Fälle bevorzugen. Ausnahmen wie Branaghan und Folrogh werden eine lange Zeit der Akklimatisierung hinter sich haben, oder sie könnten ohne Hilfsmittel kaum existieren.«
Tanahoyls Ausführungen waren zweifellos interessant, im Au genblick aber unwesentlich. Die Errichtung eines derart gewaltigen Schutzschirms über den höheren Gebirgsregionen des Erdteils bewies, daß die marsianische Flottenführung mit einem Angriff auf die Erde rechnete.
Ich mußte Tanahoyl daher zwangsläufig unterbrechen.
»Um die Lebensgewohnheiten der Marsianer kümmern wir uns später, Professor. Wie weit, schätzen Sie, ist dieser gewaltige Schutzschirm von der Hafenstadt Bayronur entfernt?«
Er spähte aus verkniffenen Augen nach vorn. Weiter hinten schrie Allison segeltechnische Anweisungen. Die RODKUN-WHU hatte die Einfahrt bereits passiert. Dahinter öffnete sich ein großer, nach Süden gekrümmter Naturhafen.
»Wie weit entfernt, Professor?« wiederholte ich meine Frage.
»Unterschiedlich weit«, entgegnete er zögernd. »Einige Gebirgszüge des Atlantischen Rückens reichen bis nahe an die Hafenstadt heran. Dort trifft man bereits Höhen bis zu zweitausend Meter an. Das zentrale Massiv, also der in sich geschlossene Kern, muß etwa tausend Kilometer weit landeinwärts in
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