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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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anzurufen. Vielleicht winden wir uns noch mal raus.«
    Als Asadowski aus dem Zimmer war, warf Morkowin Tatarski einen vielsagenden Blick zu, nahm eine kleine Blechdose aus der Tasche und streute aus ihr ein Häufchen weißes Pulver auf den Tisch.
    »Komm«, sagte er, »laß dich nicht nötigen.«
    Nach vollendeter Prozedur befeuchtete Morkowin einen Finger an der Zunge und sammelte mit ihm die restlichen weißen Krümel von der Tischplatte; anschließend leckte er den Finger ab.
    »Und da fragst du mich, worauf sich das große Ganze stützt, wer die oberste Instanz ist. Ich sage dir, hier mußt du dafür sorgen, daß dir der Arsch nicht anbrennt, damit hast du vollauf zu tun. Da bleibt dir keine Zeit für andere Gedanken. Übrigens: Pack dir das Geld lieber in die Taschen und schmeiß die Kuverts ins Klo. Man weiß nie. Auf dem Flur die erste Tür links.«
    Tatarski schloß sich in eine der Kabinen ein und fing an, die Geldbündel auf seine Taschen zu verteilen – noch nie hatte er so viel Geld auf einmal gesehen. Dann zerriß er die Umschläge in kleine Schnipsel und warf sie in das Becken. Aus einem der Umschläge fiel ein Zettel, Tatarski fing ihn auf und las:
    Allerbesten Dank, Ihr Lieben, für die Möglichkeit, ab und zu ein paralleles Leben zu leben. Das echte wäre sonst manchmal nicht auszuhalten.
    Viel Erfolg im Geschäft! B. Beresowski
    Der Text stammte aus einem Laserdrucker, die Unterschrift war ein blau faximilierter Stempel. Morkowin macht komische Witze! dachte Tatarski. Wenn nicht ein anderer.
    Er schlug ein hastiges Kreuz, zwickte sich kräftig in den Oberschenkel und betätigte die Spülung.

Die kritischen Tage
    Geschossen wurde, wie es in Moskau Sitte ist, von der Brücke. Die ehrwürdigen T-80-Panzer legten dabei größere Pausen ein – wahrscheinlich hatten die Sponsoren zu wenig Geld für Munition und fürchteten, das Ganze könnte vorbei sein, bevor man in den Weltnachrichten war. Für Meldungen aus Rußland schien nämlich ein ungeschriebenes Limit zu existieren: Filmberichte gab es erst ab drei bis vier Panzern, einhundert Toten und . . . Irgendein drittes Kriterium war da noch, das Tatarski entfallen war. Hier nun machte man, wohl des außergewöhnlichen Schauwerts wegen, eine Ausnahme: Obwohl nur ganze zwei Panzer im Einsatz waren, standen die Fernsehteams an der Uferpromenade dicht an dicht und verballerten aus ihren optischen Mörsern Megatonnen schläfriger menschlicher Anteilnahme auf den Fluß, die Panzer, das bronzene Monument Peters I. – und auf das Fenster, hinter dem Tatarski sich vergraben hatte.
    Gerade feuerte der auf der Brücke postierte Panzer eine neue Ladung ab, als Tatarski ein interessanter Gedanke kam: Man hätte den Leuten vom Marketingbüro der Fernsehproduktionsgesellschaft Brücke die Silhouette eines Panzers auf selbiger als symbolträchtiges Signet vorschlagen können – was der Adler sollte, verstand sowieso kein Mensch. Blitzschnell, noch während das Geschoß sein Ziel suchte, steckte Tatarski die Bedeutungsfelder ab (der Panzer steht für die aggressive Potenz der Gruppe und verhilft zugleich dem kommerziellen Kontext in seinem Kosmopolitismus zu einer traditionellen russischen Note) und verwarf die Idee wieder. Die sehen das Und machen sich in die Hosen! dachte Tatarski. Viel zu schade für die.
    Das Geschoß traf Peters Kopf – explodierte jedoch nicht, sondern schlug glatt hindurch und setzte seine Flugbahn in Richtung Gorki-Park fort. Aus dem Kopf quoll eine malerische Blumenkohlwolke. Tatarski wußte, daß sich dort ein kleines Restaurant befand, zu dem alle möglichen Versorgungsleitungen hinaufführten; er vermutete, daß der Blindgänger das Heizungssystem leckgeschlagen hatte. Von der Promenade her waren die begeisterten Rufe der Fernsehleute zu vernehmen. Die Dampfwolke bewirkte, daß Peter der Große jetzt Ähnlichkeit mit dem monströsen Ritter in Stephen Kings Der Talisman bekam. Tatarski sah noch vor sich, wie dem Monster im Film das jauchige Hirn auf die Schultern tropfte; durch einen Treffer in die Kanalisation ließ sich die Ähnlichkeit also steigern.
    Die Verteidigung des Kopfes wurde von einem Komitee betrieben, das sich Schutzwall Sewastopol nannte. In den Fernsehnachrichten hatte es geheißen, daß nicht die legendäre Krimstadt, sondern das gleichnamige Moskauer Hotel gemeint war, um dessen Inbesitznahme zwei verschiedene Mafias – die tschetschenische und die moskowitische – einander bekriegten. Letztere hatte angeblich

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