Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Erotikschiene des Nachtprogramms bei den Repräsentanten der national denkenden Intelligenzija größter Beliebtheit erfreut. Der Effekt wäre demnach zu maximieren, wenn nicht eine bestimmte Programmauswahl, sondern der Fernseher als solcher im Bewußtsein des Probanden den Status eines sexuellen Stimulators erlangte. Eingedenk des grundlegend patriarchalen Charakters der russischen Gesellschaft und der dominierenden Rolle, die der männliche Teil der Bevölkerung für die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit spielt, erscheint es am zweckmäßigsten, eine unbewußte, assoziative Verknüpfung zwischen dem Fernseher und den primären weiblichen Geschlechtsmerkmalen aufzubauen. Diese Assoziation soll wohlgemerkt das Fernsehgerät selbst erzeugen – und zwar unabhängig davon, welches Design der Hersteller gewählt hat und welche Art Sendung der Zuschauer konsumiert; ein solcher Ansatz könnte den schizomanipulativen Prozeß optimal beeinflussen.
    Als kostengünstiger und technisch unaufwendiger Weg, zu diesem Ziel zu gelangen, erscheint uns der flächendeckende, hochredundante Einsatz von Tamponwerbung, verbunden mit einem permanenten Zufluß der bekannten blauen Testflüssigkeit (zusätzliches assoziatives Feld: Bildschirm als blaues Fenster, Ätherblau etc.). Die Spots müßten so konstruiert sein, daß der Tampon wie von selbst den Bildschirm okkupiert, die angestrebte Assoziation also denkbar direkt und ungezwungen daherkäme . . .
    Tatarski hatte hinter seinem Rücken ein sanftes Klingen gehört und wandte sich um. Unter betörenden, irgendwie skandinavischen Tönen erschien auf dem Fernsehbildschirm ein goldglänzender weiblicher Torso von ungewöhnlicher, ja unbeschreiblicher Schönheit, der sich langsam um sich selbst drehte. Ischtar! dachte Tatarski sofort. Das muß sie sein. Das zugehörige Gesicht befand sich jenseits des Bildschirmrands, jetzt aber fuhr die Kamera langsam aufwärts, gleich mußte es ins Bild kommen. Nein: Einen Augenblick, bevor es soweit war, zoomte die Kamera die Statue so nahe heran, daß nur noch ein goldenes Leuchten den Bildschirm erfüllte. Tatarski drückte auf der Fernbedienung herum, die er plötzlich in der Hand hielt, doch nicht das Bild änderte sich, sondern der Fernseher – seine Ecken begannen sich zu runden und zu blähen, schnell verwandelte er sich in eine überdimensionale Vagina, deren schwarze Mitte Luft zog, so daß ein pfeifender Ton entstand.
    »Ich schlafe«, murmelte Tatarski in sein Kopfkissen, »ich schlafe.«
    Vorsichtig drehte er sich auf die andere Seite, doch das Klingen hörte nicht auf. Er stützte sich auf den Ellbogen und betrachtete mit gerunzelter Stirn die neben ihm liegende, leise vor sich hin schniefende Tausenddollarhure, die im Halbdunkel von Claudia Schiffer nicht zu unterscheiden war. Dann langte er nach dem auf dem Nachttisch liegenden Mobiltelefon.
    »Hallo?« röchelte er.
    »Was denn, schon wieder versackt?« dröhnte Morkowins aufgekratzte Stimme aus dem Hörer. »Hast du vergessen, daß wir zum Barbecue verabredet sind? Beeil dich, ich stehe schon unten vor deiner Haustür. Asadowski hat es nicht gern, wenn man ihn warten läßt.«
    »Sofort«, sagte Tatarski. »Ich springe nur schnell unter die Dusche.«
    Die herbstliche Chaussee war leer und trostlos. Daß die Bäume zu beiden Seiten noch in vollem Grün standen, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Sommer zu Ende gegangen war, ohne auch nur einer seiner Verheißungen nachgekommen zu sein; davon wurde einem das Herz schwer. Ein vages Vorgefühl von Winter hing in der Luft, von Schneetreiben und Katastrophe. Tatarski konnte sich lange nicht erklären, woher es kam, bis er schließlich auf die Gerüste jenseits der Leitplanke achtgab. Aller fünfhundert Meter passierten sie eine Tampax-Reklame – riesige Plakatwände, darauf ein paar weiße Inlineskates im jungfräulichen Schnee liegend. Damit hatte das Wintergefühl seine Erklärung – nicht aber die merkwürdig um sich greifende Alarmstimmung. Tatarski kam der Verdacht, daß sie in eines der depressiv wirkenden Psychofelder geraten waren, die sich über Moskau und Umgebung hielten, seit die Krise Einzug gehalten hatte. Auch wenn sich über die Beschaffenheit dieser Felder wenig sagen ließ, zweifelte er nicht an ihrer Existenz; darum kränkte es ihn ein wenig, daß Morkowin seine Mutmaßung nicht ernst nahm.
    »Den Schnee hast du durchschaut«, sagte er lachend, »aber deine Felder kannst du vergessen. Sieh dir die

Weitere Kostenlose Bücher