Generation P
Kaskadeure von Mosfilm unter Vertrag und das skurrile Scharmützel zu dem Zweck entfacht, das Fernsehen scharfzumachen und antikaukasische Emotionen zu schüren (der Aufwand an pyrotechnischen und anderen Spezialeffekten ließ diese Behauptung glaubhaft erscheinen). Die naiven, in PR-Arbeit wenig versierten Tschetschenen waren der Provokation auf den Leim gegangen und hatten in der Moskauer Provinz zwei Panzer angemietet.
Die Kaskadeure hielten sich einstweilen wacker, leisteten sogar Gegenwehr: In dem Krater neben Peters Glupschauge puffte es ein wenig, und im nächsten Moment schlug auf der Brücke eine Granate ein. Die Antwort des Gegners ließ nicht auf sich warten. Der Kopf wurde von einem weiteren Vollkalibergeschoß getroffen, es regnete Bronzesplitter. Mit jedem neuen Treffer nahm seltsamerweise die Glupschäugigkeit des Imperators zu.
Von allen am Schauspiel Beteiligten tat Tatarski der Bronzeriese, der unter den Glasaugen der Fernsehkameras eines langsamen Todes starb, am meisten leid. Doch die Anteilnahme hielt sich in Grenzen; Tatarski hatte zu arbeiten und mußte mit seinen emotionalen Energien haushalten. Also ließ er kurz entschlossen die Rollos herab, ohne das Ende der Aufführung abzuwarten, setzte sich vor den Computer und überflog noch einmal das Zitat, das er mit Filzstift direkt auf die Tapete über dem Bildschirm geschrieben hatte.
Um bei russischen Werbekunden (als solche kommen vorrangig Ex-Angehörige des KGB, der GPU und der Partei-Nomenklatura in Frage) Phantasien anzustoßen und Vertrauen zu wecken, sollte eine Konzeption sich auf hypothetische, mit verschiedenen Geheimhaltungsstufen versehene Projekte westlicher Nachrichtendienste zur Bewußtseinsmanipulation beziehen und hier vor allem auf solche, die sich durch grenzenlosen Zynismus und Menschenverachtung auszeichnen. Glücklicherweise bereitet eine Improvisation zu diesem Thema weiter keine Mühe – eingedenk der Worte von Oscar Wilde, daß das Leben die Kunst imitiert.
(The Final Positioning)
»Keine Mühe, na ich weiß nicht«, brummte Tatarski.
Er konzentrierte sich wie vor einem Sprung ins kalte Wasser, kniff die Augen zusammen, atmete tief ein, hielt die Luft an, zählte bis drei – und ließ die Finger über die Tastatur hereinbrechen.
In Verallgemeinerung des bisher Gesagten darf man feststellen, daß das Fernsehen der wichtigste Kanal ist und auf absehbare Zeit bleiben wird, über den das bewußtseinsspaltende Material der Werbekunden dem russischen Bürger zu infiltrieren ist. Allerdings ist hier in letzter Zeit – und insbesondere beim Mittelstand als der für die schizomanipulative Fernseharbeit sozial empfänglichsten Zuschauerschicht – eine verheerende Tendenz zu beobachten. Die Rede ist von der Totalverweigerung bzw. bewußten Einschränkung des Fernsehkonsums zum Zwecke der Einsparung von Nervenkraft für die Arbeit. Selbst professionelle TV-Szenaristen unterliegen dieser Entwicklung, hat sich doch in postfreudianischen Zeiten die Meinung durchgesetzt, daß im Informationszeitalter nicht mehr vorrangig die Sexualität sublimiert werde, sondern die bei der täglichen dispersiven Fernsehberieselung verbrauchte Energie.
Um die beschriebene Tendenz umzukehren, wird im Rahmen vorliegender Konzeption angeregt, sich einer Methodik zu bedienen, die seinerzeit von MI-5 und CIA gemeinsam entwickelt wurde, um Restbestände national denkender intellektueller Schichten in Ländern der dritten Welt zu neutralisieren. (Es darf davon ausgegangen werden, daß sich der Mittelstand in Rußland aus Intellektuellen zusammensetzt, die auf gehört haben, national zu denken, und statt dessen überlegen, wie sie zu Geld kommen.)
Die Methodik ist überaus einfach. Da jedes beliebige Fernsehprogramm destruktives Material, sog. Synapsenkiller, in beträchtlichem Umfang pro Zeiteinheit enthält, . . .
Draußen vor dem Fenster krachte es, Splitter prasselten auf das Dach. Tatarski zog den Kopf zwischen die Schultern. Er überlas das Geschriebene, strich den Wortteil Synapsen und ersetzte ihn durch Neuronen.
. . . läßt sich die erwünschte Schizosuggestion vor allem dadurch bewerkstelligen, daß man die betreffende Person in neutralisiertem Zustand möglichst lange vor dem Bildschirm hält. Dies zu erreichen, schlagen wir vor, einen ausgesprochen typischen Zug national denkender Intellektueller auszunutzen: seine sexuelle Unbefriedigtheit.
Interne Statistiken und Ergebnisse geheimer Befragungen sagen aus, daß sich die
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