Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Werbetafeln richtig an. Fällt dir nichts auf?«
    Vor der nächsten Tafel bremste Morkowin ab, und plötzlich konnte Tatarski das große, mit blutroter Farbe quer über die Skates und den Schnee gesprühte Graffito erkennen: Jelzins Bande vor Gericht!
    »Tatsächlich!« sagte er und war begeistert. »Das gab es auf den vorigen auch! Auf dem letzten Hammer und Sichel, auf dem vorletzten ein Hakenkreuz, und noch davor stand irgendwas über Kaukasier. Wahnsinn. Der Verstand filtert das einfach aus, du übersiehst es komplett. Und diese Farbe! Wer hat sich das ausgedacht?«
    »Du wirst lachen«, sagte Morkowin und drückte wieder auf die Tube, »Maljuta. Natürlich mußten wir die Texte fast alle neu schreiben, die waren gar zu martialisch. Aber die Idee stimmt. Ein assoziatives Feld baut sich auf, wie du immer so schön sagst: die kritischen Tage – Blutvergießen im Bereich des Möglichen – Tampax: Ihr persönliches Schutzschild gegen Exzesse. Stell dir vor, nur zwei Marken haben momentan in Moskau keine Absatzeinbußen: Tampax und Parliament Lights.«
    »Völlig klar«, sagte Tatarski und schnalzte versonnen mit der Zunge. »Der Slogan liegt einem doch auf der Zunge: Tampax ultra safe: Da kommen die Roten nicht durch! Oder gleich Sjuganow, in persona. Castaneda hat gesagt, die Menstruation sei der Riß zwischen den Welten – und wenn ihr nicht wollt, daß ihr auf der falschen Seite und so weiter. Wie wär’s damit: Tampax. Auf der sicheren Seite des Risses. Oder die ästhetizistische Variante: Rot gegen Blau. Da tun sich neue Horizonte auf.«
    »Ja, so ein Ideechen könnte man der Oralabteilung ruhig mal unterschieben«, meinte Morkowin nachdenklich.
    »Sogar die Weiße Garde könnte man einbeziehen!« Tatarski war nicht mehr zu bremsen. »Stell dir vor, ein Offizier im sandfarbenen Rock am Steilufer der Krim, so ein Nabokovsches Bild – die könnten das Fünffache an Tampons verkaufen.«
    »Na und? Wer spricht denn vom Verkauf! Der ist Nebensache. Wir infiltrieren nicht Tampons, wir infiltrieren die Unruhe.«
    »Wieso denn?«
    »Weil wir in der Krise stecken, Mann.«
    »Ach so. Natürlich . . . Weil wir gerade dabei sind: Mir ist immer noch nicht klar, wie dieser Welin es angestellt hat, die komplette Regierung zu löschen. Bei dreifacher Sicherung.«
    »Semjon war eben nicht bloß Graphikdesigner. Er war Programmierer. Wie er sich von unserer Workstation aus in die Oral Directory eingeloggt hat, weiß bis jetzt keiner. Hast du gehört, in welchen Größenordnungen er gearbeitet hat? Siebenunddreißig Millionen sind auf seinem Konto gefunden worden. Dollar! Er ist nicht mal davor zurückgeschreckt, dem Sjuganow das Jackett zu wechseln, von Cardin zu Saint Laurent. Vom Krawatten – und Hemdenmarkt ganz zu schweigen, da hat er das absolute Chaos hinterlassen. Wie Asadowski die Bilanzen gesehen hat, war er zwei Tage krank.«
    »Phänomenal.«
    »Kann man wohl sagen. Und wahrscheinlich ist ihm mit der Zeit der Arsch heiß geworden. Er hat die Dimension begriffen und versucht, sich abzusichern. Er hat ein fieses Programm geschrieben, das, wenn es nicht von Hand gestoppt wird, an jedem Monatsende die gesamte Directory killt. Mit dem hat er die Kirijenko-Datei geimpft. Und so ist im Nu die ganze Regierung infiziert gewesen. Für den Virenschutz haben wir natürlich Programme, aber seines war gemein ausgetüftelt, es hat sich an die Sektorenenden gehängt und am Monatsende selbst assembliert, ohne daß die Kontrolsummen sich verändert hätten, so daß es nicht aufzuspüren war. Genau darfst du mich nicht fragen, ich kann nur erzählen, was ich gehört habe. Während der Fahrt raus aus der Stadt in deinem Mercedes hat er jedenfalls noch versucht, es Leonid zu stecken, aber der hat ihn ja nicht zu Wort kommen lassen. Und dann kam der große GAU. Der Boß hat sich die Haare gerauft.«
    »Und wie weit sind sie inzwischen mit der neuen Regierung?« fragte Tatarski. »Man kommt ja um vor Langeweile.«
    »Dauert nicht mehr lange. Jelzin ist schon fertig, übermorgen entlassen wir ihn aus dem Kremlkrankenhaus. Er ist völlig neu digitalisiert worden, in London. Bei Madame Tussaud stand noch eine Wachsfigur von ihm im Schrank. Das ist nun schon die dritte Totalrestauration, du kannst dir nicht vorstellen, wie die Leute ihn satt haben. Und für die anderen wird fleißig an den NURBS gewerkelt. Komischerweise scheint eine ziemlich linke Regierung rauszukommen, mit kommunistischer Beteiligung. Da hat die Oralabteilung ihre

Weitere Kostenlose Bücher