Generation P
Bezug nahm. Ali hatte lange in Los Angeles gelebt, und wenn er auch den größten Teil der Unbegreiflichkeiten nicht zu erhellen wußte, so wußte er über das, was er nicht wußte, eindrucksvolle Lügenmärchen zu erzählen. Eine von Tatarskis Arbeiten hatte es Serjosha (wohl aufgrund seiner tieferen Kenntnis der Werbetheorie und der westlichen Kultur im allgemeinen) besonders angetan – die erste, die auf der geheimen, aus der spiritistischen Sitzung mit Comendante Che gewonnenen Wow!-Technik basierte. Die Reklame galt einem Reisebüro, das Touren nach Acapulco organisierte. Der Slogan war:
WOW! ACAPULYPSIS NOW!
»Du hast den Durchblick!« war alles, was Serjosha dazu sagte, und er drückte Tatarski die Hand.
Tatarski wiederum war hellauf begeistert von einer frühen Arbeit Serjoshas, die dieser selbst als mißraten ansah:
»Und du willst ein Seemann sein?«
Sagen die Freunde. Denn der Sturm im
Wasserglas läßt dich kalt.
Deine Antwort ist ein Lächeln.
Ein Seemann warst du nie.
Zeit deines Lebens warst du
auf dem Weg in diesen sicheren Hafen.
SAFE HAVEN. Die beste Rentenversicherung.
Maljuta rührte nie eine dieser westlichen Zeitschriften an – er las überhaupt nur in seinen Boulevardblättern und der Anthologie Götterdämmerung, in der das Lesezeichen immer an derselben Stelle steckte. Bald aber mußte Tatarski verwundert feststellen, daß Serjosha und Maljuta – allen gravierenden Unterschieden in den geistigen Leitbildern und den Persönlichkeitswerten zum Trotz – gleich tief in den finsteren Abgründen des Lochfraßes festsaßen. Dies war an vielerlei Details und Eigenarten abzulesen. So zum Beispiel, wenn die beiden von einem gemeinsamen Bekannten sprachen und einander die Stichworte zuwarfen:
»Na, du weißt schon«, begann Serjosha, »psychologisch gesehen ein Anfänger im Börsengeschäft, einer, der sechshundert Dollar pro Monat rauskriegt und damit rechnet, gegen Jahresende auf anderthalb tausend zu kommen.«
»Und«, ergänzte Maljuta und hob bedeutungsvoll den Finger, »wenn der mit seiner Madam ins Pizza Hut geht und gibt dort vierzig Dollar für beide aus, meint er, das ist wer weiß wie toll.«
Worauf Maljuta, kaum daß der Satz ausgesprochen war, von einem Anschlag des analen Wow!-Faktors heimgesucht wurde: Er zog sein teures Handy aus der Tasche, drehte es zwischen den Fingern und tätigte einen völlig überflüssigen Anruf.
Außerdem wiesen die Produkte der beiden verblüffende Ähnlichkeiten auf. Tatarski merkte es, als er in ihren Mappen Arbeiten zum selben Gegenstand fand.
Zwei oder drei Wochen vor Tatarskis Anstellung hatte Chanins Büro einen größeren Auftrag an Land gezogen. Irgendwelche dunklen Existenzen, die dringend eine beträchtliche Partie gefälschter Markenturnschuhe abzusetzen wünschten, bestellten bei Chanin eine Reklame für Nike – die Marke, auf die ihre Gummikähne getrimmt waren. Die Ware sollte über die Schnäppchenmärkte der Außenbezirke laufen, doch war die Partie so groß, daß die dunklen Existenzen, nachdem sie sich auf ihren Taschenrechnern genügend einen abgeklappert hatten, eine Fernsehreklame zu investieren beschlossen, um den Umsatz zu beleben. Selbstverständlich mußte es eine »supergeile« Reklame sein – »eine, die voll reinhaut«, wie sich eine der Existenzen auszudrücken beliebte. Chanin lieferte in zwei Varianten, eine von Serjosha und eine von Maljuta. Serjosha, der seine Arbeitszeit genutzt und inzwischen schon an die zehn englischsprachige Werbekompendien gelesen hatte, gebar dieses hochtönende Opus:
Nachfolgender Entwurf verwendet eine amerikanische Kulturparallele (American Cultural Reference), die dem russischen Konsumenten aus den Medien bestens vertraut sein dürfte: den Massenselbstmord unter den Mitgliedern der Heaven‘s-Gate-Sekte in San Diego, verübt zum Zwecke des Übergangs in einen Astralkörper und nachfolgender Reise zu einem Kometen. Bekanntlich lagen die Selbstmörder auf einfachen Doppelstockbetten. Das Video war in strengem Schwarzweiß gehalten; die Gesichter der Toten bedeckte ein schlichtes schwarzes Tuch, und an den Füßen trugen sie schwarze Nike-Turnschuhe mit dem weißen Swoosh-Symbol. Die hier vorgeschlagene Spot-Variante baut auf die Ästhetik des seinerzeit zu diesem Ereignis produzierten Internet-Clips – das Fernsehbild imitiert einen Computerbildschirm, in dessen zentralem Fenster die bekannten Bilder aus besagtem CNN-Video ablaufen. Am Ende, nachdem die Kamera lange auf den reglosen
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