Generation P
sehen«, beschied der Sirruf. »Man kann ihn ersteigen – das ja. Ich muß es wissen, ich bin schließlich dort Wächter. Was du gesehen hast, war das direkte Gegenteil. Der Krater zu Karthago, könnte man sagen. Das sogenannte Tophet.«
»Was ist Tophet?«
»Eine Opferstätte. Solche Gruben gab es in Tyrus, Sidon, Karthago und anderswo, dort haben sie tatsächlich Menschen verbrannt. Deshalb ist Karthago auch zerstört worden, das nur nebenbei. Ein anderer Name ist Gehenna – nach dem Tal, wo sie die Show im Altertum zum erstenmal veranstaltet haben. Ich könnte dir noch erzählen, daß die Bibel diesbezüglich von den Greueln der Ammoniter spricht, aber du hast die Bibel ja nie richtig gelesen, surfst nur in ihr herum nach irgendwelchen Werbesprüchen.«
»Ich verstehe gar nichts.«
»Gut. Dann sagen wir einfach: Tophet ist ein anderes Wort für TV.«
»Verstehe ich trotzdem nicht. Soll das heißen, ich bin im Fernsehen gewesen?«
»Gewissermaßen. Du hast den technischen Raum gesehen, in dem unsere Welt abgefackelt wird. Eine Müllverbrennungsanlage, könnte man sagen.«
An der Peripherie seines Horizonts gewahrte Tatarski wieder die Figur mit den glänzenden Schnüren in Händen. Den Bruchteil einer Sekunde lang.
»War es vielleicht der Gott Enkidu?« fragte er. »Über den habe ich gerade gelesen. Ich weiß sogar, was das für Schnüre sind, die er hält. Als die Perlen vom Geschmeide der Großen Göttin Menschen zu sein beschlossen und sich am Grund des Kanals ansiedelten. . .«
»Also erstens ist es kein Gott. Das am allerwenigsten. Und Enkidu ist ein eher seltener Name für ihn, man kennt ihn als Baal. Beziehungsweise Balu. In Karthago wollten sie ihn mit Kinderopfern abspeisen, aber das war sinnlos, er macht keine Kompromisse und läßt sie alle nacheinander ins Feuer gehen. Zweitens haben nicht die Perlen beschlossen, daß sie Menschen sind, sondern die Menschen wollten Perlen sein. Und der, den du Enkidu nennst, sammelt diese Perlen auf und verbrennt sie, damit sie endlich merken, daß sie keine Perlen sind. Kapiert?«
»Nein. Was sollen dann diese Perlen?«
Sirruf ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Wie soll ich es dir erklären. Die Perlen sind das, was dein Che Guevara als Identität bezeichnet.«
»Und woher sind diese Dinger plötzlich aufgetaucht?«
»Sie sind überhaupt nicht aufgetaucht. Es gibt sie in Wirklichkeit gar nicht.«
»Was brennt dann?« fragte Tatarski ungläubig.
»Nichts.«
»Versteh ich nicht. Wo ein Feuer ist, muß etwas sein, das brennt. Irgendeine Materie.«
»Du hast doch Dostojewski gelesen?«
»Was?«
»Na, der mit der zitternden Kreatur.«
»Ich weiß, wer Dostojewski ist. Ich kann ihn, ehrlich gesagt, nicht leiden.«
»Solltest du aber. In einem seiner Romane gibt es einen Staretz Sossima, der mit frommer Scheu über ein materielles Feuer spekuliert. Ich begreife nicht, was ihn daran so ängstigt. Ein materielles Feuer – nichts anderes ist unsere Welt. Das Feuer, in dem ihr schmort, muß unterhalten werden. Und du gehörst zum Unterhaltungssektor.«
»Zum Unterhaltungssektor?«
»Na, etwa nicht? Als Werbetexter bist du einer von denen, die die Leute zwingen, in die Flamme des Konsums zu sehen.«
»Die Flamme des Konsums. Was wird da konsumiert?«
»Die Frage ist nicht, was, sondern wer. Der Mensch denkt immer, er ist der Konsument. Dabei ist es die Flamme des Konsums, die ihn verzehrt und ihm dafür ein paar magere Freuden bereitet. Das ist wie dieser Safer Sex, von dem ihr ja nicht genug haben könnt, sogar wenn ihr allein seid. Eine ökologisch saubere Technologie zur Müllverbrennung. Aber das begreifst du sowieso nicht.«
»Wer soll denn nur dieser Müll sein, wer? Doch nicht der Mensch?«
»Der Mensch ist seiner Natur nach herrlich und groß«, sagte der Sirruf. »Beinahe so herrlich und groß wie ein Sirruf. Nur daß er es nicht weiß. Und der Müll ist die Ahnungslosigkeit. Der Anschein von Identität. Der Mensch, solange er lebt, wohnt der Müllverbrennung seiner Identität bei. Immer noch besser, sich an dem Feuerchen zu wärmen, als leibhaftig darin zu schmoren, nicht wahr?«
»Warum soll einer ins Feuer gucken und zusehen, wie sein Leben verbrennt?«
»Ihr wißt ja doch nicht, was ihr mit eurem Leben anfangen sollt. Und ihr könnt hingucken, wohin ihr wollt, immer guckt ihr in das Feuer, in dem euer Leben verbrennt. Daß man euch Fernseher und Supermärkte hinstellt statt Krematorien, ist ein Akt der Barmherzigkeit. Die Funktion ist
Weitere Kostenlose Bücher