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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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du einen 600er auf dem Kieker hast, macht dich dazu. Um einen 600er Mercedes reell auf dem Kieker zu haben, muß man schon einer sein.
    Nach einem weiteren Blick aus dem Fenster schrieb Tatarski auf das Blatt: Merde-SS. Fahrende Sekte mit Neigung zur Koprophagie.
    Es war Zeit, mit den Gedanken zur Arbeit zurückzukehren. Besser gesagt, endlich mit ihr zu beginnen. Zur Prima-Gold-Werbekampagne mußte Stellung bezogen und Treatments für L’Oréal – und Gucci-TV-Werbung mußten begutachtet werden. Prima Gold war am heikelsten, da Tatarski nicht hatte in Erfahrung bringen können, ob man ein positives oder negatives Gutachten von ihm erwartete, und also nicht wußte, welche Richtung er einschlagen sollte. Er beschloß, sich erst einmal die TV-Spots vorzunehmen. Das Shampoo-Skript füllte sechs eng beschriebene Blätter. Tatarski schlug angewidert die letzte Seite auf und las den Schluß:
    Es wird dunkel. Die Protagonistin schlummert ein, im Traum sieht sie Wogen von glänzend blondem, durstigem Haar, auf die ein hellblauer Regen niedergeht: gesättigt mit Proteinen, B5-Vitaminen und unendlichem Glück.
    Tatarski verzog das Gesicht, nahm den Rotstift zur Hand und schrieb unter den Text:
    Belletristischer Scheiß. Wie oft soll man es noch sagen: Autoren können uns gestohlen bleiben. Gefordert ist kreatives Personal. Unendliches Glück enthält keinen Visualisierungsvorschlag. Abgelehnt .
    Das Skript für Gucci war viel kürzer.
    Erste Einstellung: Tür eines Klohäusels im dörflichen Ambiente. Fliegensummen. Die Tür geht langsam auf, wir sehen ein dürres Männlein mit geschwungenem Schnurrbart und Schnapsnase auf dem Balken hocken. Insert: Pawel Bissinski, Literarisches Feuilleton. Das Männlein hebt den Blick und spricht, wie in Fortsetzung eines vor längerem begonnenen Monologs, in die Kamera:
    »Ob Rußland zu Europa gehört oder nicht, darüber war man schon immer geteilter Meinung. Ein seriöser Experte weiß auf den Monat genau zu sagen, wann und wie sich zum Beispiel Alexander Puschkin zum Thema geäußert hat. So etwa in einem Brief an den Fürsten Wjasemski von 1833, in dem es heißt . . .«
    Heftiges Krachen. Der Balken birst, der Feuilletonist fällt in die Grube. Platsch! Die Kamera fährt auf die Grube zu und zugleich steil in die Höhe (Bewegungsablauf: siehe Titanic-Überflug), wodurch der trübe Jauchetümpel in seiner ganzen Breite ins Bild kommt. Der Kopf des Feuilletonisten taucht wieder auf; die Augen himmelwärts gerichtet, spinnt er den zuvor begonnenen Gedanken fort:
    »Vielleicht sind die Gründe hierfür auch in der Kirchenspaltung zu suchen. Nicht zufällig äußerte Iwan Krylow gegenüber Pjotr Tschaadajew: › Manchmal schaut man sich um und meint, nicht in Europa zu sein, sondern in irgendeinem . . . ‹ «
    Irgend etwas zieht den Feuilletonisten in die Tiefe, gluckernd geht er unter. In der eintretenden Stille ist wieder das Summen der Fliegen zu hören. Stimme aus dem Off:
    Gucci for men
Besser riechen. Europäer sein.
    Tatarski zückte den blauen Stift.
    Sehr gut! Akzeptiert – mit Änderungen: Die Fliegen durch Michael Jackson plus Boygroup ersetzen, den Feuilletonisten durch einen neuen Russen, Puschkin, Krylow und Tschaadajew durch andere neue Russen. Das Häusel mit rosa Seide kaschieren. Den Monolog umschreiben: Bezug nehmend auf eine Schlägerei im Schickimicki-Schuppen an der Côte d‘Azur. Höchste Zeit, aus der Literaturgeschichte auszusteigen und an den reellen Kunden zu denken.
    Das Skript hatte Tatarski ausreichend inspiriert, daß er sich nunmehr an Prima Gold wagen konnte. Er nahm das Objekt noch einmal zur Hand und betrachtete es von allen Seiten. An eine Zigarettenschachtel der betreffenden Sorte war eine Papphülse von gleicher Größe geklebt. Darauf eine Luftbildansicht von New York und als Bomber im Sturzflug eine Schachtel Prima Gold. Bildunterschrift: Der Gegenschlag. Tatarski legte ein leeres Blatt vor sich hin und zögerte eine Weile, ob er zum blauen oder zum roten Stift greifen sollte. Er legte sie nebeneinander, schloß die Augen, ließ die Hand darüber kreisen und stieß dann einen Finger nach unten. Es traf den blauen.
    Zweifellos eine hervorragende Idee, die Symbolik des Gegenschlags werbestrategisch auszubeuten. Sie trifft die Stimmung beträchtlicher Teile der Lumpenintelligenzija, die die maßgebliche Klientel für diese Zigarette darstellt. Das Bedürfnis, der Übermacht von Pop-Kultur und Steinzeitliberalismus amerikanischer Prägung mit etwas

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