Generation P
Gesundem, Nationalem die Stirn zu bieten, wird von den Massenmedien seit langem gepusht. Dieses Etwas zu finden ist das eigentliche Problem. Im internen Diskurs muß man keinen Hehl daraus machen, daß es schlicht nicht existiert. Verfasser vorliegender Werbekonzeption schlagen vor, die semantische Lücke mit einer Schachtel Prima Gold zu schließen, was beim potentiellen Verbraucher psychologisch zweifellos überaus gut ankommt. Unbewußt wird phantasiert, daß der weltweite Triumph der russischen Idee mit jeder gerauchten Zigarette ein Stück näher rückt.
Nach kurzem Zögern entschied sich Tatarski dafür, die russische Idee mit großem R zu schreiben.
Andererseits muß die komplexe, im Claim konzentrierte Wirkung einer solchen Symbolik in Betracht gezogen werden. Diesbezüglich ließe sich befürchten, daß die Koppelung des Gegenschlag-Motivs mit dem Signet der British-American Tobaccos Co. als Hersteller des Produkts bei einem Teil der Zielgruppe zu einem logischen Kurzschluß führen könnte, etwa in Gestalt der Frage: Wird New York von der Schachtel angegriffen, oder startet sie von dort? Letztere Variante (logisch erhärtet von dem Umstand, daß die Schachtel auf dem Bild mit der Klappe nach oben fliegt) könnte nicht mehr verdeutlichen, wieso von einem Gegenschlag die Rede ist.
Hektisches Glockengeläut von einem in der Nähe gelegenen Kirchlein drang durch das geschlossene Fenster. Tatarski lauschte ein paar Sekunden andächtig, dann schrieb er weiter:
Nolens volens erschließt sich einem hier der Primärbonus westlicher Propaganda. Daß eine introvertierte Gesellschaft einer extrovertierten auf dem Imagesektor Paroli bieten könnte, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Tatarski überlas den letzten Gedanken und fand, daß er nach nationalem Minderwertigkeitskomplex roch; er strich die beiden Sätze und brachte das Thema forsch zum Abschluß:
Im übrigen ist wohl nur der materiell am schlechtesten gestellte Teil der Zielgruppe zu derlei analytischen Schlüssen in der Lage, weshalb obiger Vorbehalt sich auf den Verkauf kaum auswirken dürfte. Der Entwurf wird daher gutgeheißen.
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, Tatarski nahm ab.
»Hallo.«
»Tatarski! Zum Chef auf den Teppich!« – Morkowins Stimme.
Tatarski gab der Sekretärin den eben verfaßten Text zur Reinschrift und fuhr hinunter. Es regnete immer noch in Strömen. Er schlug den Kragen hoch und flitzte über den Hof zum gegenüberliegenden Flügel. Das kurze Stück reichte, daß er bis auf die Haut durchnäßt war. Da sitzt man nun im selben Haus, aber nein, man muß über den Hof! dachte er gereizt, während er die Marmorhalle betrat. Fehlte noch, daß ich den schönen Teppich versaue . . . Der Anblick der Wachleute mit den Maschinenpistolen dämpfte seinen Zorn. Einer erwartete ihn mit geschulterter Skorpion am Fahrstuhl. Lässig klimperte er mit dem Schlüsselbund.
Morkowin saß in Asadowskis Vorzimmer. Beim Anblick des tropfnassen Tatarski lachte er hämisch:
»Hast dir wohl extra die Nasenlöcher gespült? Vergiß es. Leonid ist unterwegs, da fällt die Bienenzucht aus.«
Tatarski hatte das Gefühl, daß in dem Raum etwas fehlte. Richtig: Der runde Spiegel und die goldene Maske waren von der Wand verschwunden.
»Wo ist er denn hingefahren?«
»Nach Bagdad.«
»Ach. Und was will er da?«
»Die Ruinen vom alten Babylon besichtigen, die sind ganz in der Nähe. Irgendwie hat er sich in den Kopf gesetzt, auf den Turm steigen zu müssen, der da noch steht. Er hat mir ein Photo gezeigt. Tolles Teil!«
Tatarski mochte sich nicht anmerken lassen, wie das eben Gehörte auf ihn wirkte. Mit betont natürlicher Geste nahm er sich eine Zigarette aus der Schachtel, die auf dem Tisch lag.
»Was interessiert ihn daran so besonders?« fragte er.
»Er sagt, er müsse mal wieder hoch hinaus. Ist was mit dir? Du bist auf einmal so blaß.«
»Ich hab zwei Tage nicht geraucht«, sagte Tatarski. »Wollte eigentlich aufhören.«
»Kauf dir ein Nikotinpflaster.«
Tatarski hatte sich schnell wieder in der Gewalt.
»Übrigens«, sagte er, »hab ich Asadowski gestern abend schon wieder in zwei Spots gesehen. Ich kann einschalten, wann ich will, immer sehe ich ihn. Wenn er mal nicht im Corps de ballet tanzt, sagt er das Wetter für morgen an. Wie soll man sich das erklären? Warum macht er das? Ist er dermaßen scharf drauf, vor der Kamera zu stehen?«
»Dafür hat er eine Schwäche. Ich geb dir den guten Rat, dich darum einstweilen nicht
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