Genesis Secret
Savary laut aufgeschrien angesichts der Idiotie des Ganzen. Die Bande hatte Messer und Schusswaffen. Eine der Pistolen war auf ihn gerichtet. Das war doch total lächerlich. Sie waren hier in Cambridgeshire. An einem wunderschönen Mainachmittag. Eben war er noch im Supermarkt Erdbeeren kaufen gewesen. Auf dem Heimweg hatte er etwas von Bach gepfiffen. Und jetzt standen bewaffnete Psychopathen in seinem Cottage!
Christine versuchte zu schreien und wand sich verzweifelt, doch einer der Männer schlug ihr hart in den Bauch, und sie hörte auf zu zappeln. Sie stöhnte. Sie starrte de Savary mit angstvoll aufgerissenen Augen an.
Jamie Cloncurry, der Größte der Eindringlinge, deutete mit seiner Pistole gelangweilt auf de Savary. »Fesselt ihn an den Stuhl.«
Die Stimme war sehr distinguiert: in einem geradezu beängstigenden Maß. Aus der Küche konnte de Savary unterdrückte Schreie hören. Dort war Lizzie, und sie weinte. Dann verstummte das kindliche Schluchzen.
Zwei der Männer fesselten de Savary an den Stuhl. Sie legten ihm ein verschwitztes Tuch um den Mund und verknoteten es so fest, dass seine Lippen zu bluten begannen, als der Knebel sie gegen seine Schneidezähne presste. Aber es war nicht dieser Schmerz, der de Savary am meisten beunruhigte. Es war die Art, wie sie ihn an den Stuhl fesselten: verkehrt herum, sodass er rittlings darauf saß, die Brust gegen die Rückenlehne gepresst. Er wurde mit breiten Riemen festgeschnallt, die Fußgelenke unter dem Stuhl fest aneinandergebunden. Auch die Handgelenke fesselte man aneinander, teuflischerweise ebenfalls unter dem Stuhl; sein Kinn drückte schmerzhaft gegen die Rückenlehne. Alles tat weh. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte weder Christine noch Lizzie sehen: Nur ein schwaches Wimmern drang an sein Ohr; es kam aus einem anderen Zimmer. Dann gingen seine Gedanken in blindem Entsetzen unter, denn er hörte die nächsten Worte Jamie Cloncurrys, der irgendwo hinter ihm stand.
»Haben Sie schon einmal etwas vom Blutaar gehört, Professor de Savary?«
De Savary schluckte - und dann konnte er einfach nicht anders: Er begann zu weinen. Tränen strömten über sein Gesicht. Dass sie ihn umbringen würden, damit hatte er gerechnet. Aber so? Der Blutaar?
Jamie Cloncurry stellte sich vor ihn und sah ihn prüfend an; sein blasses und schönes Gesicht war leicht gerötet. »Sicher haben Sie schon vom Blutaar gehört. Schließlich haben Sie dieses Buch verfasst. Dieses ziemlich beunruhigend populärwissenschaftliche Machwerk, Die Exzesse der Normannen.« Cloncurry verzog das Gesicht. »Alles über Riten und Glaubensauffassungen der Wikinger. Ziemlich blutrünstig, wenn ich das mal so sagen darf. Aber ich nehme an, so was steigert die Auflage…« Der Junge Mann hielt ein Buch in den Händen und zitierte daraus: »>Und jetzt kommen wir zu einer der abstoßendsten Praktiken in den Annalen normannischer Grausamkeit: dem sogenannten Blutaar. Einige Wissenschaftler bezweifeln, dass dieses brutale Opferritual jemals in der Praxis vollzogen wurde, aber eine ganze Reihe von Hinweisen in Sagen und Skaldendichtung lassen einem unvoreingenommenen Betrachter wenig Raum für Zweifel: Das Ritual des Blutaars wurde tatsächlich vollzogen. Es war eine authentische Opferungszeremonie des Nordens.<« Cloncurry warf einen lächelnden Blick in de Savarys Richtung und fuhr fort: »>Normannischen Überlieferungen zufolge wurde das berüchtigte Blutaar-Ritual an verschiedenen prominenten Führerpersönlichkeiten vollzogen, darunter König Ella von Northumbria, Halfdan, Sohn König Harfagris von Norwegen, und König Edmund von England.<«
De Savary spürte, wie es in seinem Bauch zu rumoren begann. Er fragte sich, ob er sich gleich in die Hose machen würde.
Cloncurry blätterte um und las weiter. »Schilderungen des Blutaars weichen in Einzelheiten voneinander ab, doch die wesentlichen Bestandteile des Rituals bleiben die gleichen. Zuerst wird dem Opfer direkt neben der Wirbelsäule der Rücken aufgeschlitzt. Manchmal wird ihm vorher die Haut abgezogen. Dann werden die freigelegten Rippen an der Wirbelsäule gebrochen, möglicherweise mit einem Hammer oder Schlegel, vielleicht werden sie auch durchschnitten. Dann werden die durchtrennten Rippen wie Flügel auseinandergezogen und die grauen Lungenflügel darunter freigelegt. Das Opfer bleibt bei vollem Bewusstsein, wenn die pulsierenden Lungen aus der Brusthöhle gerissen und über seine Schultern geworfen werden, sodass das Opfer
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