Genesis Secret
Haran.« Sie zuckte mit den Achseln. »Und mit Thelassar ist möglicherweise Rusafa in Nordsyrien gemeint.«
»Wie weit ist das von hier entfernt?«
»Es liegt etwas mehr als dreihundert Kilometer südwestlich von hier.«
Rob nickte zustimmend. »Womit Göbekli einfach im Osten läge. Im Osten von Eden. Und was ist mit dem Namen? Dem Wort >Eden< selbst? Auf Hebräisch bedeutet es >Wonne<…«
»Die sumerische Wurzel ist aber eigentlich >eddin<. >Steppe< oder >Plateau< - oder >Ebene<.«
»Wie … die Ebene von Haran?«
»Ganz genau. Wie die Ebene von Haran. In der …«
»… Göbekli Tepe liegt.« Rob spürte das Kitzeln von Schweiß auf seinem Rücken. Es war ein extrem heißer Vormittag, selbst in der Kühle des Teehausgartens. »Okay, der letzte Anhaltspunkt ist also der konkrete Bibelbezug.«
»Abraham soll hier gelebt haben. Im Buch Genesis wird er eindeutig mit Haran in Verbindung gebracht. Die meisten Muslime glauben, dass Urfa das Ur der Chaldäer ist. Und das findet ebenfalls in der Genesis Erwähnung. Wahrscheinlich gibt es in der Genesis mehr Verweise auf dieses kleine Gebiet hier als auf irgendeine andere Region des Nahen Ostens.«
»Das wär’s also.« Rob lächelte zufrieden. »Unter Berücksichtigung der biblischen Verweise, der geschichtlichen Fakten und der Legenden und dazu der Topographie der Region und der Indizien für eine frühe Domestizierung - und natürlich der Daten von der Stätte selbst - haben wir die Lösung. Richtig? Zumindest haben wir Franz’ Lösung …« Wie ein Zauberer, der gleich eines seiner Kunststücke vorführen wird, hob Rob die Hände. »Göbekli Tepe ist der Garten Eden!«
Christine lächelte. »Im übertragenen Sinn.«
»Im übertragenen Sinn. Aber trotzdem, der Gedanke hat etwas. Hier fand der Sündenfall des Menschen statt. Von der Freiheit der Jagd zur Plackerei der Landwirtschaft. Und das ist die in der Genesis überlieferte Geschichte.«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Christine: »Treffender ließe es sich allerdings so ausdrücken, dass Göbekli Tepe … ein Tempel in einer paradiesischen Umgebung ist. Und nicht das tatsächliche Paradies.«
»Na klar.« Rob grinste. »Keine Angst, Christine. Ich glaube nicht, dass Adam und Eva leibhaftig in Göbekli herumgelaufen sind und Pfirsiche gegessen haben. Aber ich glaube, dass Franz zu der Überzeugung gelangt war, das Paradies gefunden zu haben. Im übertragenen Sinn.«
Rob, der sich plötzlich wesentlich besser fühlte, blickte über den flimmernden Teich. Es war außerordentlich hilfreich, alles durchzusprechen; außerdem war er begeistert vom journalistischen Potenzial der Geschichte. Selbst wenn sie sich ziemlich verrückt anhörte, war sie hochinteressant - und mit Sicherheit sehr spannend. Ein Wissenschaftler, der glaubte, den Garten Eden auszugraben, und sei es auch nur im übertragenen Sinn. Das war in jedem Fall eine Doppelseite wert. Locker.
Christine schien nicht so glücklich über den Erfolg ihrer Hypothese. Ihre Augen trübten sich kurz: ein emotionaler Moment, der jedoch rasch vorüberging. »Jaaaa … nehmen wir mal an, du hast recht. Und dem ist wahrscheinlich so. Es würde auf jeden Fall die Zahlen erklären. Und Franz’ rätselhaftes Verhalten: nachts zu graben und die Funde wegzubringen. Er muss sich viel davon erwartet haben. Er war extrem nervös, unmittelbar bevor … bevor es passiert ist.«
Ihre Betroffenheit rührte Rob; er machte sich heftige Vorwürfe. Obwohl es immer noch einen Mordfall zu lösen galt, dachte er an nichts anderes als an seinen Artikel.
Christine runzelte die Stirn. »Trotz allem bleiben immer noch viele Fragen offen.«
»Warum haben sie ihn umgebracht?«
»Genau.«
Rob begann laut nachzudenken. »Na ja, was weiß ich. Vielleicht … vielleicht fand irgendein amerikanischer Evangelist heraus, was er vorhatte. Den Garten Eden auszugraben, meine ich.«
Christine lachte. »Und dann hat er einen Auftragskiller engagiert? Klar, natürlich, diese Methodisten verstehen manchmal partout keinen Spaß.«
Ihr Teeglas war leer. Sie hob es hoch und stellte es wieder ab, dann sagte sie: »Ein weiteres Rätsel ist: Warum haben die Jäger Göbekli wieder zugeschüttet? Diese Frage beantwortet unsere Eden-Theorie zum Beispiel nicht. Sie müssen Jahrzehnte gebraucht haben, um eine so große Anlage zuzuschütten. Aber vor allem, warum haben sie das getan?«
Rob schaute in den blauen Himmel über Urfa, als suchte er dort eine Eingebung. »Weil es der Ort des
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