Genesis Secret
Man badete sie, manchmal mussten sie fasten, oder ihnen wurden die Haare geschoren. Einigen schnitt man die Zunge heraus.
Forrester fand seine Hypothese bestätigt. Die Mörder waren geradezu besessen von der Idee des Menschenopfers. Aber warum?
Er stand auf und massierte sich die Nackenmuskeln. Er hatte drei Stunden vor dem Computer gesessen. Sein Kopf sirrte in der Frequenz des Bildschirms. Alles schön und gut. Aber sie hatten keine konkreten Hinweise auf die Mörder. Alle Manx-Häfen wurden kontrolliert, der Flughafen rund um die Uhr observiert. Aber er machte sich wenig Hoffnungen, dass sie die Bande so fassen würden: Bestimmt hatten sie sich getrennt und die Insel sofort verlassen. Dutzende Schiffe, Fähren und Flugzeuge verließen die Isle of Man jeden Tag und zu jeder Stunde; wahrscheinlich hatte sich die Mörderbande schon aus Douglas abgesetzt, bevor die Leiche überhaupt entdeckt worden war. Ihre einzige Hoffnung war, dass der schwarze Toyota auf Videoüberwachungsaufnahmen auftauchte. Aber es konnte Wochen dauern, das verfügbare Bildmaterial zu sichten.
Forrester setzte sich wieder und zog seinen Drehstuhl näher an den Bildschirm. Er musste noch weiter recherchieren.
Jerusalem Whaley war Mitglied dieses dekadenten Aristokratenclubs gewesen, des Irish Hellfire Club. Das wusste er von dem Manx-Hobbyhistoriker. Doch wo war die Verbindung zu den Menschenopfern? Zu den Morden? Gab es überhaupt einen Zusammenhang?
Und die Knochen in der Craven Street, in Benjamin Franklins Haus, was hatte es damit auf sich?
Diese zwei Fragen führten zu einer dritten: Überall, wo die Bande auftauchte, gruben sie etwas auf. Wonach suchten sie?
Forrester gab Benjamin Franklin und Hellfire ein, und schon der erste Treffer beantwortete seine Frage: Benjamin Franklin, einer der amerikanischen Gründerväter, war ein guter Freund Sir Francis Dashwoods gewesen, und Sir Francis Dashwood hatte den Hellfire Club gegründet. Nach Auffassung verschiedener wissenschaftlicher Autoritäten war sogar Benjamin Franklin selbst Mitglied des Hellfire Club gewesen.
Allmählich begann sich ein klareres Bild abzuzeichnen. Der Hellfire Club spielte offensichtlich eine wichtige Rolle. Doch wer oder was war das genau?
Soviel Forrester anhand seiner Internetrecherchenersehen konnte, war der Hellfire Club sowohl in Irland als auch in England ein Geheimbund von Oberschichttunichtguten gewesen. Das war allerdings schon alles. Sie waren möglicherweise verdorben und gefährlich gewesen und mit Sicherheit dekadent und ausschweifend; aber ernsthaft satanistisch und sogar mörderisch? Die meisten Historiker teilten die Auffassung, dass sie wenig mehr als ein Zecherclub gewesen waren, der es manchmal etwas zu bunt getrieben hatte. Die Teufelsanbetergerüchte wurden größtenteils als unbegründet abgetan.
Dessen ungeachtet gab es jedoch einen Experten, der hier vehement widersprach. Forrester notierte sich den Namen auf einem Block. Ein Professor Hugo de Savary, von keiner geringeren als der Universität Cambridge, vertrat die Ansicht, dass die Hellfires richtige Okkultisten gewesen waren. Eine Meinung, die ihm viel Spott eingetragen hatte.
Doch selbst wenn de Savary recht haben sollte, beantwortete dies immer noch nicht die übrigen drängenden Fragen. Wonach suchte die Bande? Warum gruben sie an bestimmten Stellen den Boden auf? Inwiefern hatte all das etwas mit dem Hellfire Club zu tun? Was bezweckten sie, wenn sie in Rasenflächen und Kellern wühlten? Suchten sie einen Schatz? Okkultistische Utensilien? Alte Knochen? Mit einem Fluch belegte Diamanten? Geopferte Kinder? Forresters Verstand begann heiß zu laufen. Für diesen Vormittag hatte er genug getan. Er war gut vorangekommen. Er hatte das Gefühl, endlich alle Teile des Puzzles beisammenzuhaben. Das einzige Problem war, dass er die Schachtel verloren hatte. Und weil er nicht wusste, was darauf abgebildet war, konnte er auch nicht sagen, was die Puzzleteile darstellen sollten. Er hatte keine Ahnung, zu welchem Bild er sie zusammensetzen sollte. Aber immerhin hatte er jetzt die Teile …
Ein Gähnen unterdrückend, zog Forrester sein Sakko von der Stuhllehne. Mittagszeit. Er hatte sich ein anständiges Essen verdient - beim Italiener um die Ecke vielleicht. Penne Arrabbiata. Und zum Nachtisch Tiramisu und eine ausgiebige Lektüre des Sportteils.
Auf dem Weg zur Tür warf Forrester noch einmal einen Blick auf den Schreibtisch. Seine Tochter lächelte ihn mit kindlicher Unschuld an. Etwas
Weitere Kostenlose Bücher