Genesis Secret
versetzte ihm einen Stich, und er blieb stehen. Er schaute auf das Foto seines Sohnes und dann wieder auf das Bild seiner Tochter. Er dachte an ihre Stimme. Wie sie ihre ersten richtigen Wörter sagte. App-fäll App-fäll. App-fäll Daddy! App-fäll…
Der Schmerz war heftig. Er legte den Rahmen mit dem Bild nach unten auf den Schreibtisch und ging durch die Tür. Das Erste, was er sah, war Boijer, atemlos und aufgeregt. »Sir, ich glaube, wir haben was!«
»Was?«
»Den Toyota. Den schwarzen Toyota.«
»Wo?«
»In Heysham, Sir. In Lancashire.«
»Wann …«
»Vor zwei Tagen.«
22
Rob und Christine saßen im Teehaus an Abrahams Fischteich. Die honigfarbenen Steine der Mevlid-Halil-Moschee glühten im Morgenlicht: Ihr mattgoldener Ton spiegelte sich still im Wasser des Teichs.
Am Abend zuvor hatten sie jeder für sich Recherchen zu ihrer Eden-Theorie angestellt. Christine in ihrer Wohnung am Notebook, Rob in einem Internetcafé. Um schneller mehr Informationen beschaffen zu können, hatten sie beschlossen, getrennt vorzugehen. Und jetzt hatten sie sich hier verabredet, um über die Ergebnisse ihrer Suche zu sprechen. Sie waren wegen der Anonymität in den Park gekommen. Irgendwie fühlten sie sich in der Umgebung vieler Menschen sicherer. Herumschlendernde Männer, Soldaten, die dienstfrei hatten, und Kinder, die gebratene Hammelstückchen mampften, während ihre Mütter die Karpfen beobachteten. Einziger Störfaktor war ein Polizeiauto, das diskret am Rand der kleinen Grünanlage parkte.
Rob rekapitulierte für Christine, wie er auf die Lösung gekommen war. Sie hatten während ihres Aufenthalts in Sogmatar und Harran über die Genesis gesprochen. Und dabei hatte Christine auch die Geschichte von Adam und Eva erwähnt. Das alles musste Erinnerungen an seinen ständig aus der Bibel zitierenden Vater in ihm wachgerufen haben; jedenfalls war ihm die Idee gekommen, wie die Zahlen gedeutet werden könnten. Kapitel soundso, Vers soundso. Zahl auf Zahl. Doch jetzt hieß es die Probe aufs Exempel machen und prüfen, wie weit ihre Theorie der Praxis standhielt.
»Also gut.« Rob nahm einen Schluck Tee. »Gehen wir alles noch mal von Anfang an durch. Wir wissen, dass die Landwirtschaft in dieser Gegend ihren Anfang genommen hat. Das hier war der erste Ort auf der ganzen Welt. Die Region um Göbekli. Zirka achttausend vor Christus. So weit alles richtig?«
»Ja. Und wir können grob sagen, wann und wo die Landwirtschaft ihren Ursprung hatte …«
»Aufgrund der archäologischen Funde: >Die Kultivierung ist ein Schock für das System.< Das habe ich in einem deiner Bücher gelesen. Die Skelette der Menschen verändern sich, sie werden kleiner und weniger robust…«
»Hmm.« Christine stimmte nur zögernd zu. »Während sich der menschliche Körper an eine proteinärmere Nahrung und ein anstrengenderes Leben anpasst, kommt es eindeutig zu einer Veränderung in der Größe des Skeletts und in der Robustheit der Physis. Das habe ich auf vielen Stätten beobachten können.«
»Folglich: Die frühe Domestizierung ist ein Experiment. Entsprechend werden frisch domestizierte Tiere mickriger.«
»Ja.«
»Aber …« Rob beugte sich vor. »Als diese Kultivierungsversuche begannen, um achttausend vor Christus, haben sich hier doch auch die landschaftlichen Gegebenheiten langsam verändert. In dieser Region. Richtig?«
»Ja, die Bäume wurden gefällt, die Böden laugten aus, und die Gegend wurde sehr karg. So, wie sie jetzt ist. Wohingegen sie zuvor … paradiesisch war.« Sie lächelte versonnen. »Ich kann mich noch gut erinnern, wie Franz darüber sprach, wie es damals in Göbekli gewesen sein muss. Er meinte, es sei einmal eine >pastorale Idylle< gewesen, sozusagen das Paradies auf Erden. Es gab Wiesen und Wälder, reich an Wild und Wildgräsern. Aber mit dem Aufkommen der Landwirtschaft änderte sich das Klima. Und die Region hier wurde immer unwirtlicher - sodass die Menschen dem Land ihren Lebensunterhalt unter immer größeren Mühen abringen mussten.«
Rob holte sein Notizbuch heraus und las daraus ab:
»>Und Gott sprach zu Adam: Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.< Genesis Kapitel vier, Vers zwanzig.«
Christine massierte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. Sie sah müde aus, was bei ihr ungewöhnlich war. Doch dann ging ein Ruck durch sie, und sie fuhr fort: »Diese Theorie ist übrigens keineswegs neu: dass die Geschichte vom Garten Eden
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