Genesis Secret
Sündenfalls war? Vielleicht stand Göbekli schon zu jener Zeit für diesen schweren Fehler der Menschen. Für den Übergang zur Landwirtschaft. Den Beginn der Lohnsklaverei. Deshalb haben sie es versteckt, aus Scham oder Wut oder Ärger oder …«
Christine spitzte nicht sonderlich beeindruckt die Lippen.
»Okay.« Rob lächelte. »Nicht sehr überzeugend, meine Theorie. Aber warum haben sie es getan?«
Ein Achselzucken. »C’est un mystere.«
Wieder legte sich Schweigen über ihren kleinen Tisch. Ein paar Meter weiter, hinter den Rosensträuchern, deuteten kleine Kinder aufgeregt auf die Fische im Teich. Rob beobachtete ein Mädchen: Es war etwa zehn, elf Jahre alt, mit goldblonden Locken. Seine Mutter war ganz in Schwarz gekleidet und verschleiert. Traurig wurde ihm bewusst, dass dieses bezaubernde Mädchen sich bald wie seine Mutter unter dem Tschador würde verbergen müssen. Für immer schwarz verhüllt.
Und dann durchzuckten ihn echte Schuldgefühle. Schuldgefühle wegen seiner Tochter. Da schwelgte er in der Aufdeckung dieses Rätsels - und doch wollte er in seinem tiefsten Innern nur noch nach Hause. Er sehnte sich nach zu Hause. Nach Lizzie.
Christine schlug Breitners Notizbuch auf und legte es neben ihre eigenen Notizen. Schattensprenkel der umstehenden Linden flirrten über ihren kleinen Tisch. »Da wäre noch ein letzter Punkt. Etwas, worauf ich dich noch nicht aufmerksam gemacht habe. Erinnerst du dich an die letzte Zeile in Franz’ Notizbuch?« Sie drehte das Notizbuch so herum, dass Rob es sehen konnte, und deutete auf eine Zeile.
Sie lautete: Cayönü-Schädel, vgl. Orra Keller.
»Ich habe es bisher nicht erwähnt, weil ich es irgendwie komisch fand. Es schien mir nicht wichtig. Doch jetzt … aber sieh selbst. Inzwischen habe ich eine Idee …«
Er beugte sich vor, um die Zeile zu lesen - aber sie blieb unverständlich. »Wer soll Orra Keller sein?«
»Es ist kein Name!«, platzte Christine heraus. »Wir haben ursprünglich angenommen, es wäre ein Name, weil der Anfangsbuchstabe großgeschrieben ist. Aber ich glaube, Franz hat nur die Sprachen durcheinandergeworfen.«
»Ich weiß immer noch nicht, was du meinst.«
»Er mischt Englisch und Deutsch. Und …«
Rob schaute über Christines Schulter. »O nein!«
Christine verspannte sich. »Was ist?«
»Nicht hinschauen. Es ist Inspektor Kiribali. Er hat uns gesehen, und er kommt direkt auf uns zu.«
23
Kiribali schien allein zu sein, aber das Polizeiauto stand immer noch still und lauernd am Rand des Gölbasi-Parks.
Der türkische Inspektor trug wieder einen schicken Anzug; diesmal aus cremefarbenem Leinen. Dazu eine sehr britische Krawatte, grün und blau gestreift. Er kam mit einem breiten, echsenhaften Lächeln über die kleine Brücke auf ihren Tisch zu. »Guten Morgen. Meine Leute haben mir gesagt, dass Sie hier sind.« Er verneigte sich und küsste Christine die Hand, dann zog er sich einen Stuhl heran. Als er sich einem herumstehenden Kellner zuwandte, änderte sich sein Verhalten abrupt: von unterwürfig zu herrisch. »Lokum!« Der Kellner zuckte erschrocken zusammen und nickte. Kiribali schaute lächelnd über den Tisch. »Sie kennen doch diese türkische Spezialität? Sie müssen unbedingt das Lokum hier in Gölbasi probieren. Ein besseres finden Sie in ganz Sanliurfa nicht. Eine unübertreffliche Köstlichkeit. Sie kennen doch bestimmt die Geschichte von seiner Erfindung?«
Zu Kiribalis offensichtlicher Freude verneinte Rob. Der türkische Inspektor beugte sich vor und legte seine manikürten Hände flach auf das Tischtuch.
»Das Ganze begann so: Ein osmanischer Scheich hatte eines Tages das ständige Gezänk seiner Frauen leid. In seinem Harem herrschte schlechte Stimmung. Deshalb trug der Scheich dem Hofkonditor auf, eine Süßspeise zu kreieren, so köstlich, dass sie die Frauen zum Schweigen brächte.« Kiribali lehnte sich zurück, als der Kellner einen Teller mit zuckerbestäubten Süßigkeiten auf den Tisch stellte. »Es funktionierte. Das köstliche Lokum besänftigte die Frauen, und im Harem kehrte wieder Ruhe ein. Allerdings wurden die Konkubinen von der kalorienhaltigen Köstlichkeit so dick, dass der Scheich in ihrer Gesellschaft impotent wurde. Deshalb … ließ der Scheich den Konditor kastrieren.« Kiribali lachte laut über seine Geschichte, dann nahm er den Teller und hielt ihn Christine hin.
Rob war, nicht zum ersten Mal, seltsam zwiegespalten bezüglich Kiribali. Der Polizist war charmant, hatte
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