Genesis Secret
Zentrum waren reserviert, aber keineswegs unfreundlich. Die schnurrbärtigen jesidischen Männer reichten Rob Tee und Pistazien. Zwei von ihnen sprachen stockendes Englisch, mehr als nur ein paar sprachen Deutsch. Sie erklärten ihm, das liege daran, dass es in Deutschland viele Jesiden gebe. »Überall sonst wurden wir vertrieben und ausgelöscht, hier haben wir keine Zukunft, jetzt könnt uns nur noch ihr Christen helfen …«
Über Einzelheiten ihres Glaubens zu sprechen, dazu waren die Jesiden jedoch nicht bereit. Sobald Rob anfing, sich nach dem Schwarzen Buch oder Sanliurfa oder dem Sandschak oder dem Melek-Taus-Kult zu erkundigen, verschlossen sich ihre Mienen zu einem Ausdruck der Ablehnung oder dem Selbstschutz dienenden Nichtverstehens. Dann wurden die schnurrbärtigen Männer böse und boten ihm keine Pistazien mehr an.
Der zweite problematische Punkt war Laiisch selbst. Wie sich herausstellte - und Rob ärgerte sich, dass er die Sache so überstürzt angegangen war, ohne sich vorher zu informieren -, lebte in Laiisch niemand. Es war im wahrsten Sinn des Wortes eine heilige Stadt, eine Geisterstadt für Engel, ein Ort, der ausschließlich heiligen Dingen vorbehalten war: heiligen Geistern, alten Texten, ehrwürdigen Heiligtümern.
In den Dörfern rund um Laiisch ging das Leben seinen gewohnten Gang, aber Laiisch selbst suchten die Jesiden nur auf, um dort zu beten oder religiöse Feste zu feiern, bei denen jeder Außenstehende sofort auffiele. Außerdem war es für einen Nicht-Jesiden nicht nur schwierig, sondern regelrecht gefährlich, überhaupt nach Laiisch zu kommen. Jedenfalls wollte niemand Rob dorthin bringen. Nicht einmal für ein Schmiergeld von hundert Dollar. Rob versuchte es immer wieder, aber die Taxifahrer warfen nur einen argwöhnischen Blick auf sein Geld und antworteten mit einem kurzangebundenen »La!«.
Am zehnten Abend war Rob kurz davor, aufzugeben. Er lag in seinem Hotelzimmer auf dem Bett. Die Stadt draußen war laut und hitzig. Er stand auf, stellte sich an das offene Fenster und blickte über Betonflachdächer und dunkle verwinkelte Gassen. Die heiße irakische Sonne ging über dem graugoldenen Zagros-Gebirge unter. Neben riesigen Satellitenschüsseln hängten alte Frauen mit rosafarbenen Kopftüchern Wäsche auf. Unter all den Minaretten waren auch einige Kirchtürme zu sehen. Möglicherweise von Kirchen der Gnostiker. Oder der Mandäer. Oder der assyrischen Christen. Der Chaldäer. Es gab so viele alte Sekten hier.
Nachdem er das Fenster gegen den abendlichen Ruf zum Gebet geschlossen hatte, kehrte Rob zum Bett zurück und griff nach seinem Handy. Er fand ein kurdisches Netz mit gutem Empfang und rief in England an. Nach mehrmaligem Tuten ging Sally dran. Rob stellte sich darauf ein, dass seine Exfrau wie gewohnt höflich, aber kurz wäre. Doch Sally war erstaunlich freundlich und aufgekratzt. Es sollte sich rasch herausstellen, warum. Sie erzählte Rob, dass sie seine »neue Freundin« kennengelernt hatte und sehr sympathisch fand. Sie sagte, Christine sei genehmigt und er müsse wohl endlich zur Vernunft gekommen sein, wenn er sich auf richtige Frauen einließe und nicht mehr auf diese Tussis, denen er sonst hinterhergelaufen sei.
Rob lachte und sagte, er habe sie, Sally, eigentlich nie als Tussi betrachtet; darauf trat eine kurze Pause ein, und dann lachte auch Sally. Es war das erste Mal seit ihrer Scheidung, dass sie gemeinsam lachten. Sie unterhielten sich noch eine Weile, wie sie sich schon lange Zeit nicht mehr unterhalten hatten. Und dann gab Robs Exfrau das Telefon ihrer Tochter. Rob versetzte es einen schmerzhaften Stich, als er Lizzies Stimme hörte. Sie erzählte ihrem Papa, dass sie im Zoo gewesen sei, Tiere »angucken«. Rob hörte ihr mit einer Mischung aus Freude und Trauer zu und versicherte ihr, dass er sie sehr lieb habe, und Lizzie verlangte, Papa solle endlich nach Hause kommen. Dann fragte er sie, ob sie die Französin, Christine, schon kenne. Lizzie sagte ja und dass sie nett sei und Mami sie auch mochte. Das sei prima, erwiderte Rob und gab seiner kichernden Tochter einen lauten Schmatz durchs Telefon. Er beendete das Gespräch. Es kam ihm etwas eigenartig vor, dass seine neue Freundin und seine Exfrau sich sympathisch fanden. Aber es war auf jeden Fall besser, als wenn sie sich nicht ausstehen könnten. Außerdem bedeutete es, dass sich mehr Leute um seine Tochter kümmerten, wenn er nicht da war.
Vielleicht wurde es trotzdem langsam Zeit, nach
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